Kultur/Buch

Drei Vergessene: Pollatschek, Flesch-Brunningen, Carl Laszlo - zum Entdecken

Zum Beispiel Stefan Pollatschek, 1890 in Wien geboren, Jünger von Karl Kraus, Freund von Elias Canetti, 1942 nach Flucht vor den Nazis in England gestorben.

(Pollatschek empfand es als Schande, die Niederlage Hitlers nicht zu erleben.)

Vergessen ist er.

Er schrieb „Die Pest“. Der Roman erschien in Österreich erstmals 1948, als auch Albert Camus’ „Die Pest“ in der Übersetzung herauskam.

Pollatschek lässt im Kaffeehaus und im AKH plaudern – Camus schreibt metaphysischer, symbolischer vom Ausnahmezustand an der algerischen Küste ... aber gemeint ist immer auch „die braune Pest“.

Bei Camus steht der Widerstand im Vordergrund, bei Pollatschek der Antisemitismus, höchst infektiös: Als 1898 im AKH bei der Forschung mehrere Mitarbeiter an Pest erkrankten, unter ihnen der Arzt Hermann Franz Müller (Büste im Campus Altes AKH, Hof 9), hieß es bei Bürgermeister Lueger und seinen Leuten sofort: An der Pest seien die Juden schuld.

„Meinst du denn wirklich, dass dieser Geist in unserer Zeit siegen kann?“ sagt ein Mediziner im Buch.

Aufgefressen

Mit der Zeit hat das nichts zutun. Aber mit der Liebe. Ein Kollege hat die Antwort, die für vieles gilt: Am Tag, an dem man nicht mehr lieben kann, beginnt der Tod. Er richtet es sich häuslich im Inneren des Menschen ein und beginnt zu fressen. Er frisst zuerst Herz und Hirn.

Die Theodor Kramer Gesellschaft in der Wiener Leopoldstadt hat „Die Pest“ jetzt neu aufgelegt. Gegründet 1984, ruft sie Literatur der verfolgten Autorinnen und Autoren in Erinnerung.

Und Hans Flesch-Brunningen zum Beispiel.

Geboren 1895 in Brünn, Jude, Adeliger, 21 Romane fünf Theaterstücke, nach der Flucht Redakteur der BBC in London, 1963 nach Wien zurückgekehrt, 1981 in Bad Ischl gestorben.

Von ihm hat die Edition Atelier „Perlen und schwarze Tränen“, ebenfalls aus dem Jahr 1948 , neu aufgelegt.

Flesch-Brunningen war der zweite Ehemann Hilde Spiels, Wiener Weltbürgerin der Literatur – auch sie gerät langsam, wie sogar Karl Kraus, in Vergessenheit.

Ihr Mann schrieb den österreichischen „Ulysses“. (Er war mit Joyce bekannt.)

Ein – versteckter – Höhepunkt der Exilliteratur, mit Autobiografischem angereichert: Der Exil-Schriftsteller John Truck wandert durch London, die Ausgebombten schlafen in den U-Bahnschächten. Er kauft keine Schweinsniere wie Leopold Bloom (bei Joyce), sondern geht mit einer Frau essen, die unnahbar für ihn bleibt.

Ob er sie später umbringt – wer weiß es? Der Nebel, der die Stadt zu erdrosseln scheint, erzeugt Träume und Gespenster.

Überlebenstrick

Und Carl Laszlo? Der dritte Vergessene ... bzw. seine KZ-Erinnerungen „Ferien am Waldsee“ sind vergessen, sie wurden eigentlich nie zur Kenntnis genommen. Der DVB-Verlag (= das vergessene Buch) des Münchners Albert C. Eibl lädt zur Entdeckung ein.

Carl Laszlo (Bild oben): Geboren in Pécs, ungarischer Jude, überlebte Auschwitz, überlebte Sachsenhausen, überlebte Buchenwald (45 Familienmitglieder wurden ermordet), danach Psychoanalytiker und Kunsthändler, gestorben in Basel.

Er schrieb über Vernichtungslager wie jemand, den die Hölle nichts angeht. Wie ein lebendiger Leichnam, der die Teufel beobachtet. Ein Trick, um zu überleben: Ich gehöre da nicht dazu.

Eine Szene, bezeichnend für „Ferien am Waldsee“: Laszlo sitzt am Abort und liest im einzigen geretteten Buch, Shakespeares „Romeo und Julia“ – mit Blick auf die Krematorien, wo Flammen aus den Schornsteinen schießen, und an der Rampe teilt Mengele ein, welche Neuankömmlinge sofort in die Gaskammern müssen.

Stefan Pollatschek: „Die Pest“, 290 Seiten, Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft, Nachwort von Alexander Emanuely, 21 Euro

Hans Flesch-Brunningen: „Perlen und schwarze Tränen“ Herausgegeben von Evelyne Polt-Heinzl, Edition Atelier, 328 Seiten, 25 Euro

Carl Laszlo: „Ferien am Waldsee“, Nachwort  Alexander von Schönburg,  DVB Verlag, 160 Seiten, 22 Euro

Das Porträt oben zeigt Carl Laszlo und wurde 1969 von Christian Schad gezeichnet