Buchkritik: Birgit Birnbacher hat "Ich an meiner Seite"
Von Peter Pisa
Langsam wird ein Mensch aus dem Roman geschält. Es ist Arthur, 22 ist er. Er kommt eben aus der Haft. Zwei Jahre saß er wegen Internet-Betrügereien.
Man braucht Geduld mit ihm. Die Salzburgerin Birgit Birnbacher (Bild oben) konnte sich jetzt mehr Platz nehmen als 2019 beim Bachmannpreis, den sie mit einem kurzen und ebenfalls sehr engagierten Text gewonnen hatte.
Birnbacher ist Soziologin. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin. Sie kennt die Menschen, die wenig Chancen haben – am Arbeitsmarkt, am Partnermarkt, am Wohnungsmarkt. Sie hat einen Haftentlassenen gefunden, der ihr seine Lebensgeschichte für diesen Roman sozusagen geschenkt hat.
Täuschen
Arthur wirkt nett, er ist klug, er kommt aus keiner völlig kaputten Familie: Mutter und Stiefvater waren mit ihm nach Andalusien ausgewandert, wo sie ein Hospiz leiten. Arthur kam allein nach Österreich zurück.
Sein Betreuer ist seltsam. Er will, dass Arthur Purzelbäume schlägt. Vor allem, will er, dass er sich ändert, damit seine Chancen besser werden: „Niemanden interessiert, wer Sie sind. Entscheidend ist, wen Sie vorgeben können zu sein.“
Da macht Arthur nicht mit. Er will er bleiben, er will so sein, dass der Romantitel gut zu ihm passt:
„Ich an meiner Seite“.
Birgit Birnbacher hat keine Köder ausgelegt, damit man leichter in ihren Roman einsteigt Es dauert, bis man ganz bei Arthur ist, der zum Teil über sein Leben auf Tonband spricht, zum Teil ist man „live“ dabei – vor der Haft, in Haft, nach der Haft.
Birnbacher ist voll Empathie, im Gegensatz zum Wettlesen in Klagenfurt verzichtet sie auf Humor. Wahrscheinlich ist er ihr vergangen angesichts der Schicksale.
(Immer wieder geschieht etwas, und der Mensch macht weiter; und holt Milch. So einfach und einfach schön kann's Birnbacher sagen.)
Birgit Birnbacher:
„Ich an meiner Seite“
Zsolnay Verlag.
272 Seiten.
23,70 Euro
KURIER-Wertung: ****