Bob Dylan: Zum Geburtstag ein neues Album
Von Guido Tartarotti
Gesichert ist nur: Heute vor 75 Jahren kam in Duluth, Minnesota, Bob Dylan zur Welt. Und schon das stimmt so nicht. Zur Welt kam Robert Allan Zimmerman, Sohn jüdischer Emigranten aus Odessa. Bald zog die Familie nach Hibbing um, wo Bob aufwuchs, und sich für Rock ’n’ Roll interessierte.
So berichtet es die offizielle Geschichtsschreibung. Dylan selbst hat immer wieder auch andere, wesentlich romantischere Versionen seiner Kindheit und Jugend verbreitet. Schon sehr früh hat er das Konzept der Selbstmystifikation verstanden: "I’m not there" – wo immer ihr glaubt, dass ich bin, bin ich nicht (mehr).
Neu erfunden
So ist es zum Beispiel mit der Geschichte seines Motorradunfalls, der ihn von Ende 1966 an zu einem zweijährigen Rückzug aus der Öffentlichkeit zwang. Bis heute weiß niemand genau, was passierte – und ob es überhaupt einen Unfall gab. Tatsache ist: Dylan gelang der Absprung aus dem hektischen, ungesunden Tour-Leben – und er erfand seine Karriere neu, mit anderer Musik.
Bob Dylan hat sich bis heute immer wieder gewandelt, frei nach dem Motto: In Bewegung bleiben, sonst kriegen sie dich! Seit fast drei Jahrzehnten ist er auf der "Never Ending Tour" (auf der er, oft zum Entsetzen von Teilen des Publikums, seine Lieder je nach Laune gnadenlos dekonstruiert).
Nach einer Schwäche-Periode in den Achtziger- und NeunzigerJahren fand er mit dem Album "Time Out Of Mind" (1997) zurück zu großer Form, und bis heute hält er das Niveau.
Mondanheulung
Seine jüngeren Alben waren Grabungsarbeiten in der Geschichte der amerikanischen Populärmusik. "Tempest" (2012) bot gespenstischen Blues, Mondanheulungen, unheimlich, packend. 2015 veröffentlichte er ein Cover-Album: "Shadows In The Night" enthielt Standards, die auch Sinatra gesungen hatte, waidwunde, tieftraurige Lieder – und der krächzende Dylan entpuppte sich als seelenvoller Crooner.
Jetzt legt er nach: "Fallen Angels" – es erscheint heute – ist wieder eine Sichtung von amerikanischem Schlager-Liedgut, diesmal aber optimistisch und hell im Ton.
Genau genommen sind das keine Coverversionen – also kein Statement zu einem Lied, das ein anderer geschrieben und selbst bekannt gemacht hat. Sondern es sind Interpretationen: Also etwas, das in den Dreißiger- und Vierzigerjahren üblich war, bevor der komponierende Sänger erfunden wurde.
Damals wurden Songs von Hitschreiber-Büros am Fließband zusammengeschraubt, und jeder konnte die Titel interpretieren und sie sich so zu eigen machen.
Vorwärts zurück
Dylan begann in den frühen Sechzigerjahren als Protestsänger in der Tradition der Gewerkschaftsbewegung und entwickelte sich dann zum wichtigsten Songschreiber der Popgeschichte. Jetzt, im Alter, geht er sozusagen einen Schritt hinter seine Anfänge zurück – in die Ära der Jazz-Schlagersänger, in der das Material nur ein Werkstoff für den Sänger war, um sich zu verwirklichen: It’s the singer, not the song!
Natürlich ist Dylans neues Album weniger wichtig als seine berühmteste Platte "Blonde On Blonde", das vor genau 50 Jahren erschienen ist. Auch nicht so wichtig wie "Bringing It All Back Home" (1965), "Highway 61 Revisited" (ebenfalls 1965) oder "Blood On The Tracks" (1975). Aber es ist ein starkes Statement von einem Künstler, der offenbar vorhat, langsam rückwärts aus der Zeit zu verschwinden.
Vielleicht macht er ja als bald ein Album mit Schubert-Liedern und geht mit Walther von der Vogelweide auf Tour. Auf viele Jahre!
Unterwegs mit Bob: Als Daniel Kramers Bildband mit 140 Dylan-Fotos 1967 erstmals erschien, wurde er auf der Stelle zum Klassiker. Nun hat der Taschen Verlag dieses legendäre Portfolio neu aufgelegt, ergänzt um bislang unveröffentlichte Aufnahmen des US-Fotografen. Bob Dylan: „A Year and a Day“ – vorerst nur in der limitierten XXL-Fassung (1765 Stück) um 500 Euro erhältlich.