Kultur

Besser tiefgekühlt als tot

Nicht jeder Finne weiß, wie der amerikanische Präsident aussieht. Irgendwo im Norden Lapplands kann es schon passieren, dass der mächtigste Mann der Welt seinen Pass zücken muss, um seine Identität zu beweisen. Das tut er umso lieber, wenn ein dreizehnjähriger Finne dabei Pfeil und Bogen auf seinen Bauch richtet.

Es ist unschwer zu erraten, welchen US-Präsidenten Samuel L. Jackson in diesem kurzweiligen Finnen-B-Movie parodiert. Die Zeitung auf seinem Schoß betitelt ihn gnadenlos als "Lahme Ente". Diese Meinung teilt auch sein oberster Sicherheitschef: Der Präsident könne nicht einmal einen Klimmzug machen, geschweige denn ein Land führen. Kein Wunder, wenn ihn ein paar Terroristen vom Himmel schießen.

Und so stürzt die Air Force One gleich in den ersten Minuten recht beeindruckend über dem Norden Finnlands ab. Der verblüffte Präsident landet auf einer Lichtung, verliert einen Schuh und wird von dem 13-Jährigen zur Passkontrolle aufgefordert.

Die Rettung des US-Präsidenten vor den Terroristen als großes Buben-Abenteuer erinnert stark an eine Steven-Spielberg-Fantasie. Überhaupt winken die Action-Knaller der 80er-Jahre von jeder Ecke dieses knackigen 90-Minüters, der einem wie geölt die Kehle hinunter fließt.

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Fleck

Speziell Jackson als US-Präsident macht dabei eine witzige Figur. Fehlt nur noch das Tarantino-Script. Der Präsident erzählt dem Buben, wie er einmal eine wichtige Rede gehalten habe – trotz eines Pissflecks auf der Hose. Eine Lektion fürs Leben. Danach wird er von dem Terroristen mithilfe einer Tiefkühltruhe eingefangen. Mit vorwurfsvollem Blick, aber ohne sonderlich Widerstand zu leisten, steigt der Führer der freien Welt ins Gefrierfach und weigert sich, wieder heraus zu kommen. Lieber tiefgekühlt als tot. Erst, nachdem ihm der 13-Jährige gut zuredet, lässt er sich von einem Fluchtversuch überzeugen.

Aber auch der Rest der Filmbesatzung verbreitet beste Laune. Die Kommandozentrale im Pentagon wirkt beispielsweise recht entspannt. Der oberste Terrorismusspezialist – ein herrlicher Jim Broadbent – mampft unbeeindruckt sein Salatsandwich, als würde er nicht den wichtigsten Mann im Staat suchen, sondern die Sportschau kommentieren.

Was den Terroristen antreibe, will der Vizepräsident wissen. Normalerweise Geld, Sex oder Gott, weiß der Spezialist. Doch dieser hier sei ein "überprivilegierter Psychopath" und wollen den Präsidenten ausstopfen. Das finden selbst dessen größte Gegner übertrieben. Zum Glück greift der kleine Finne durch. Zeit für US-Selbstironie – sogar für die Navy SEALs.

INFO: Big Game. FIN/GB/D 2014. 90 Min. Von Jalmari Helander. Mit Samuel L. Jackson, Onni Tommila.

KURIER-Wertung:

Der Blick hinter die Fassaden der besseren Gesellschaft Dänemarks kann ganz schön entlarvend sein. Reiche Investoren schießen in ihrer Freizeit auf Zebras oder verstecken die blutige Unterwäsche ihrer Opfer im Keller. In dem übermäßig zugespitzten Dänenthriller "Schändung – Die Fasanentöter" begibt sich Jussi Adler-Olsens "Sonderdezernat Q" für ungelöste Fälle nach "Erbarmen" zum zweiten Mal in die kriminelle Vergangenheit des Landes. Carl Mørck und Partner Assad wollen einen zwanzig Jahre alten Doppelmord an einem jugendlichen Geschwisterpaar lösen und geraten dabei in den Dunstkreis eines Elitegymnasiums, dessen Abgänger mittlerweile zu den Speerspitzen des Landes zählen. Wenig subtil, verlässt sich "Schändung" auf krasse Gegensätze, die sensationsheischend auf einander zusteuern. Während die beiden Polizisten im düster-grimmigen Drogen- und Prostituiertenmilieu recherchieren, erstrahlt die Oberschicht in verlogen hellem Designer-Glanz. Reißerisch und leidlich spannend.

INFO: "Schändung – Die Fasanentöter". Thriller. D/DK/SE 2015. 120 Min. Von Mikkel Nørgaard. Mit Nikolaj Lie Kaas.

KURIER-Wertung:

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Ein Mann und eine Frau. Das Dach über ihren Köpfen ist eine luxuriöse Villa. Noch ein Mann und noch eine Frau – zwei Junkies, die in einer Bruchbude leben.

Aus dieser Konstellation hat die Oscar-Preisträgerin Susanne Bier ein Sozial-Drama gemacht, das zum Thriller wird, als sich die Wege der Paare kreuzen: Andreas (Coster-Waldau) ist Polizeikommissar und entdeckt bei einem Einsatz in der Wohnung der Junkies ein schreiendes Baby – im Kot liegend und vor Kälte zitternd. Als plötzlich das Baby des Kommissars stirbt, ist seine Frau Anna (Maria Bonnevie) dem Selbstmord nahe. In seiner Verzweiflung stiehlt Andreas den Säugling der Junkies und lässt das eigene tote Kind in deren Wohnung zurück.

Die immer komplizierter werdende Handlung schrammt oft haarscharf am Sozialkitsch vorbei, lässt man sich aber darauf ein, wird der Film zur Versuchsanordnung, die uns mit unserer Doppelmoral konfrontiert: Auch wenn wir es uns nicht eingestehen wollen, unsere (Vor-)Urteile über Menschen hängen oft von deren Aussehen ab. Steht der fesche Vater, dessen Wunschkind gestorben ist, moralisch höher als der Junkie, der Frau und Kind bedroht? Ist es gut, wenn ein drogensüchtiges Paar sein Baby verwahrlosen lässt? Mit Sicherheit nein! Ist es gut, wenn der Kommissar den Junkies das hilflose Kind wegnimmt? Fast ist man geneigt, diese Frage mit "ja" zu beantworten. Solche Gedankenexperimente spielt der Film mit immer neuen Wendungen durch. Ein exzellent gespielter Sozial-Krimi, in dem es nicht um die Frage geht: Wer ist der Täter, sondern: wer soll die "Zweite Chance" bekommen?

Text: Gabriele Flossmann.

INFO: Zweite Chance. DK 2015. 102 Min. Von Susanne Bier. Mit Nikolaj Coster-Waldau, Marie Bonnevie.

KURIER-Wertung:

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Das Jahr 1967 fängt für zwei deutsche Jugendliche aus der Provinz schlecht an. Ihr Ausbruch aus dem muffigen Elternhaus endet nicht in Rock’n’Roll und Protestbewegung, sondern bei prügelnde Nonnen und im Erziehungsheim. "Von jetzt an kein Zurück" nennt der österreichische Regisseur Christian Frosch seinen großteils in Schwarzweiß gedrehten Jugendfilm, in dem er einen bitteren Blick auf das verspießte Deutschland der 60er Jahre wirft. Premiere ist Mittwoch Abend im österreichischen Filmmuseum, regulärer Kinostart am Freitag.

Frosch selbst ist Jahrgang 1966, verspürt aber eine innere Nähe zu seinem jungen Liebespärchen, das sich aus dem Elternhauses befreien will und stattdessen in der Erziehungsanstalt landet: "Wenn man in einer niederösterreichischen Kleinstadt bei sehr katholischen Eltern aufgewachsen ist, findet man schnell seine Bezugspunkte", sagt der Wahlberliner im KURIER-Interview. Und natürlich inspirierten die in Österreich und Deutschland geführten Debatten über Missbrauch und Gewalt in katholischen Internaten und staatlichen Heimen seinen Film – "aber mich interessierte vor allem, wie diese Institutionen funktioniert haben".

Krasse Gegensätze

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Dazu interviewte der Regisseur 50 Betroffene, die ihm von ihren krassen Erfahrunggen mit der Heimerziehung berichteten, und verarbeitete sie zu nicht minder krassen Szenen: Die Nonnen verteilen lieber Ohrfeigen als gute Ratschläge und zwingen ihre Zöglinge zum Aufessen – selbst wenn diese sich bereits in ihre Teller übergeben haben. Aber auch das protestantische Erziehungsheim ist kein Spaziergang: Junge Burschen verrichten Zwangsarbeit, werden von den faschistoiden "Erziehern" im Feldwebelton angebrüllt und bei Fehlverhalten rigide bestraft – "Alles authentisch", beteuert Christian Frosch.

Ohnehin sei er der Ansicht, dass eine heute junge Generation zu wenig von der Vorgeschichte weiß, um die Anliegen der 68er-Generation und deren teilweise Radikalisierung durch die RAF nachvollziehen zu können: "Ich habe mit meinem Patenkind den ,Baader Meinhof Komplex’ im Kino angesehen und bemerkt, dass ein 16-jähriger nicht verstehen kann, aus welchen Motiven die Leute damals gehandelt haben."

Übrigens: Gleich zu Beginn seines Films spielt Frosch den berüchtigten "Anti-Gammler"-Song "Wir" (1966) von Freddy Quinn, in dem dieser der jungen Generation den Kampf ansagt: "Wer hat den Mut, sich für euch zu schämen? Wir!" singt eine Männerstimme, die nicht von Freddy Quinn stammt. Dieser hatte verboten, sein Originallied zu verwenden. Aber weniger, weil es ihm moralisch so peinlich war, vermutet Christian Frosch: "Ich glaube, er wollte mehr Geld."

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