Bibliothek der Zukunft: Datenspeicher statt Buchregal
Von Georg Leyrer
Es gebe "überhaupt nichts Magisches an Büchern", lässt Ray Bradbury im Roman "Fahrenheit 451" jenen alten Wissenschaftler sagen, der auf die Bewahrung des Buchwissens hofft. Die Magie liege vielmehr darin, was Bücher sagen, wie sie für uns das Universum zusammensetzen. Was also ist das Wichtige an einem Buch? Ist es der Papiergegenstand? Oder der Inhalt? Nein, das sind keine sinnlosen philosophischen Überlegungen. Sondern das ist exakt jene Frage, die sich die Nationalbibliothek nun stellen muss: Muss man Papierbücher sammeln? Oder sollen in Zukunft stattdessen die digitalen Versionen, die eBooks, archiviert werden?
Für viele ist letzteres unvorstellbar. Eine Bibliothek ohne Bücher? Obwohl die Entwicklung in diese Richtung geht: In den USA erscheint schon jetzt vieles an Literatur ausschließlich elektronisch. Der emotionale Widerstand ist dennoch groß: Lesen ist für viele Menschen auch im Internetzeitalter immer noch das Blättern in Büchern.
Die Direktorin der Nationalbibliothek, Johanna Rachinger, hat in einer "Vision 2025 angeregt, über eine Novelle des Mediengesetzes nachzudenken. In der sollte stehen, dass bei identem Inhalt verpflichtend die elektronische Version gesammelt werden soll. Postwendend wurde sie zum Rücktritt aufgefordert.
Revolution
"Man muss Emotionen ernst nehmen", sagt Rachinger zum KURIER. "Visionen sind Einladungen zur Diskussion. Es geht nicht darum zu sagen: Wir sammeln keine Bücher mehr. Wir können beides sammeln. Aber das ist auch eine Frage der Finanzierung". Und "es hat eine Revolution stattgefunden. Eine Institution wie die unsere, die Wissen zu den Menschen bringt, muss sich damit befassen". Sie glaube "nicht, dass das physische Buch zur Gänze verdrängt werden wird. Aber es wird nicht mehr das Leitmedium sein." Was die Aufgaben der Nationalbibliothek grundlegend verändert. Schon jetzt werden dort u.a. die österreichischen Webseiten archiviert, sie "ermöglichen wichtige Einblicke in die Kultur und Gesellschaft des 21. Jahrhunderts".
Ein großes Fragezeichen ist die Haltbarkeit der Daten. Bücher können Jahrtausende überstehen, Daten müssen regelmäßig gepflegt werden, damit sie nicht unlesbar werden oder ganz verschwinden. "Natürlich müssen wir immer wieder Daten migrieren, so wie auch viele Bücher restauriert werden müssen", sagt Rachinger. "Aber das Österreichische Staatsarchiv sammelt schon jetzt die Dokumente nur noch online. Und wenn man dort darauf vertraut, dass Daten bewahrt werden können, dürfen wir das auch."
Eines ist Rachinger besonders wichtig: Die Nationalbibliothek "wird immer auch als physischer Ort bestehen bleiben, als Ort, wo es gedruckte Werke und Lesesäle gibt". Denn Menschen haben in einer Welt, in der sehr viel nur noch virtuell kommuniziert wird, die Sehnsucht, an Orte zu kommen, an denen man auch real mit Menschen kommunizieren kann.
Direktorin Johanna Rachinger im Interview
KURIER: Warum ist denn in der Vision 2025 so viel von Ebooks die Rede?
Johanna Rachinger: Es hat eine Revolution stattgefunden. Eine Institution wie die unsere, die Wissen zu den Menschen bringt, muss sich damit befassen, wie das Wissen für die Welt von morgen aufbereitet wird. Wir halten in unserer Vision fest ist, dass der Großteil der Publikationen 2025 auch oder nur mehr in digitaler Form erscheinen wird. Davon gehen wir aus. Die British Library geht bereits für 2020 von 75 Prozent der Literatur aus, die auch oder nur mehr digital erscheinen wird. Da muss man sich als Bibliothek Gedanken machen, wie man sich vorbereitet. Wir haben in unserer Vision den Vorschlag eingebracht: Wenn Bücher sowohl als gedruckte Version als auch als digitale Version mit identem Inhalt erscheinen, soll uns vom Gesetzgeber das Recht eingeräumt werden, dass wir verpflichtet sind, die digitale Version zu sammeln. Wenn der Gesetzgeber der Meinung ist, dass man zusätzlich auch das physische Buch sammeln soll, dann werden wir das selbstverständlich tun.
Also wollen Sie doch noch Bücher sammeln?
Wir schlagen vor, dass in jedem Fall bestimmte Bücher auch physisch gesammelt werden sollen. Der Kriterienkatalog, welche das sein sollen, muss noch erstellt werden. So weit sind wir noch nicht. Aber wir denken nachhaltig: Wir wollen nicht späteren Generationen aufwendige Digitalisierungsverfahren aufzwingen, wenn wir heute schon in der Lage sind, digital zu sammeln.
Mit dieser Vision machen sie in ein hoch emotionales Thema auf: Den Übergang vom Papierbuch zum Ebook.
Visionen sind Einladungen zur Diskussion. Es geht nicht darum zu sagen: Wir sammeln keine Bücher mehr. Wir können beides sammeln. Aber wir wollen die Verpflichtung, auch elektronische Bücher zu sammeln. Wir agieren hier gemeinsam mit europäischen Bibliotheken. Das sind Diskussionen, die international geführt werden.
Sie wurden deswegen postwendend zum Rücktritt aufgefordert.
Dass man Dinge unterschiedlich beurteilen kann, ist selbstverständlich. Es gibt immer Menschen, für die Veränderungen schwierig sind. Aber die jüngere Generation geht ganz anders mit neuen Medien um als meine.
Ist die elektronische Speicherung billiger als der Bau eines neuen Tiefspeichers?
Wir sammeln derzeit jährlich 50.000 physische Buchexemplare, und wir rechnen damit, dass unsere Speicher in rund zwei Jahren voll sind. Einen neuen Tiefspeicher brauchen wir daher in jedem Fall dringend. Derzeit erscheinen rund 10 % der österreichischen Verlagsproduktion sowohl in digitaler als auch in gedruckter Form. Wir müssen also die zukünftige Entwicklung berücksichtigen und dürfen uns neuen Technologien nicht verschließen. Bei den Speicherkosten für digitale Speicherung sind sich die Experten einig, dass sie in Zukunft günstiger werden.
Aber die Datenpflege wird doch immer teurer, je mehr Ebooks archiviert sind.
Selbstverständlich, das ist keine Frage. In unserem Bildarchiv leben wir dieses Beispiel schon jetzt. Analoge Fotografie gibt es heute kaum noch, wir sammeln fast ausschließlich digitale Fotografie. Ich bin froh und glücklich darüber, dass wir uns rechtzeitig darauf eingestellt haben. Natürlich müssen wir immer wieder Daten migrieren. Aber auch das Österreichische Staatsarchiv archiviert die Dokumente nur noch online.
Droht da nicht irgendwann der Datenverlust? Bücher sind bei weitem langlebiger als Daten.
Wenn das Staatsarchiv darauf vertraut, dass man das Archivieren kann, dürfen wir auch davon ausgehen. Man muss natürlich verantwortungsbewusst agieren. Auch Bücher muss man restaurieren. Wenn es beispielsweise im August stark regnet, gehen unsere Restauratoren mit dem Feuchtigkeitsmesser durch die Archive, um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist. Genau so sorgfältig muss man langfristig mit digitalen Daten umgehen. Ich sehe das als etwas ganz Wesentliches, dass man sich diesen Entwicklungen vor allem als Österreichische Nationalbibliothek nicht verschließt. Wir können uns nicht zurücklehnen. Es geht darum, die neuen Technologien mitzudenken.
Irgendwann einmal wird die Nationalbibliothek also nichts mehr zu sammeln haben außer Ebooks?
Das Sammeln wird sich in Zukunft automatisch verändern, weil immer mehr Bücher nur mehr als Ebooks erscheinen werden. Ich glaube aber nicht, dass das physische Buch zur Gänze verdrängt werden wird. Allerdings wird es nicht mehr das Leitmedium sein. Wir sammeln im wissenschaftlichen Bereich schon jetzt viele Born Digital-Publikationen.
Wenn alles digital ist und per Internet abrufbar, muss man dann irgendwann gar nicht mehr in die Nationalbibliothek kommen?
In unserer Vision ist ganz klar formuliert, dass die Bibliothek der Zukunft eine zweifache ist: Einerseits eine virtuelle, aber die Bibliothek wird immer auch als physischer Ort bestehen bleiben, als Ort, wo es gedruckte Werke und Lesesäle gibt. Weil Menschen in einer Welt, in der sehr viel nur noch virtuell kommuniziert wird, die Sehnsucht haben, an Orte zu kommen, an denen man auch real mit Menschen kommunizieren kann. Im Übrigen werden urheberrechtlich geschützte Werke, auch wenn sie digital archiviert sind, immer nur in der Bibliothek gelesen werden können.
-
Hintergrund
-
Kommentar
-
Hintergrund
-
Tipp
-
Hintergrund
-
Hauptartikel
-
Interview
-
Hintergrund
-
Interview
-
Kritik