Kultur

Das Bild, das ihn dreißig Jahre bewegte

Kate Winslet war sein Wunsch. Dass Regisseur Stephen Daldry Bernhard Schlinks Traumbesetzung für die „Hanna“ im Film „Der Vorleser“ (2008) umsetzte, freut den Schriftsteller und emeritierten Professor für Öffentliches Recht heute noch. Sein Gespür war richtig: Winslet gewann für ihre Darstellung einer ehemaligen KZ-Aufseherin, die sich auf eine Affaire mit einem Teenager einlässt, einen Oscar. Schlinks gleichnamige Vorlage aus dem Jahr 1995 war bereits zuvor einer der erfolgreichsten deutschen Romane aller Zeiten: Der erste auf Platz eins der US-Bestsellerlisten, übersetzt in 50 Sprachen.

Nun hat Schlink, der heuer 70 geworden ist, mit dem Roman „Die Frau auf der Treppe“ erneut einer schwierigen Frau ein Denkmal gesetzt. Vorbild für „Irene“ war Gerhard Richters Akt „Ema“, den Schlink vor mehr als 30 Jahren entdeckte. Beide sind verschwommene, rätselhafte Schönheiten. Irene ist die Geliebte eines reichen Mannes, die mit dem Porträt, das er von ihr anfertigen ließ, verschwindet und über Umwege als RAF-Terroristin in Australien landet. Ein Gespräch über Glück und Last des Erfolgs und der Vergangenheit.

KURIER: Sie haben das Vorbild für das Bild von Irene, Gerhard Richters Akt „Ema“, vor mehr als 30 Jahren entdeckt. Ist es Ihnen seither nicht aus dem Kopf gegangen?
Bernhard Schlink
: Ich habe es Anfang der 80er Jahre im Museum Ludwig gesehen und so gemocht, dass ich mir eine Postkarte davon gekauft habe. Seitdem steht sie im Wechsel mit anderen Postkarten und Photographien in dem alten Schreibtisch, den ich von meinem Großvater geerbt habe und an dem ich arbeite.

Ein Bild bleibt jung, der darauf abgebildete Mensch altert. Die Parallele zu Oscar WildesDorian Gray“ drängt sich auf.
Ich weiß, was Sie meinen. Aber ich habe überhaupt nicht daran gedacht.

Der Name der Protagonistin, Irene, griechisch „die Friedliche“, passt gar nicht zu ihrem Leben.
Nein, sie hat kein friedliches Leben und ist auch keine friedliche, sondern eine kämpferische Person. Der Gegensatz gefällt mir.

Mögen Sie Irene?
Ich mag alle meine Gestalten.

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Das muss man als Schriftsteller wohl auch.
Ich jedenfalls muss es. Manche liebe ich wie die Mutter ihr missratenes Kind liebt. Aber lieben tu’ ich sie alle.

Wie viel Zeit haben Sie mit Irene verbracht, wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?
Zwei bis drei Jahre. Und ich empfand, wie bei jedem Buch, am Ende einen richtigen Abschiedsschmerz. Ich habe mit den Gestalten gelebt, sie sind mir lieb, nahe und vertraut geworden - ich wollte sie nicht gehen lassen.

Da ist wohl oft die Versuchung da, eine Fortsetzung zu schreiben. In diesem Fall geht das auf Grund des Verlaufs der Geschichte nicht, aber haben Sie schon einmal daran gedacht, den Helden Ihrer Selb-Trilogie wieder zuholen?
Ja, immer wieder geht mir eine Geschichte für einen vierten Selb-Roman im Kopf herum.

Ihr verstorbener Kollege Jakob Arjouni hat nach elfjähriger Pause zu seinem Ermittler Kayankaya zurückgefunden und es „wie ein Nachhause kommen“ beschrieben.
Das verstehe ich. Und ich vermisse ihn und finde furchtbar traurig, dass er gestorben ist. Übrigens war seine erste Lesung auch meine. Wir waren in einer Krimi-Buchhandlung in München und haben dort zusammen den Abend bestritten - mit wenigen Leuten im Publikum, niemand kannte uns.

Auch Sie lieben, wie Arjouni, Krimi-Klassiker wie Raymond Chandler ...
.... und Dashiell Hammett und James M. Cain, den immer Unterschätzten.

Alles Meister dieser klaren, präzisen Sprache von der man sagt, sie sei auch Ihr Markenzeichen. Ist das ein Attribut, in dem Sie sich wiederfinden?
Ja, ich versuche, klar und präzise zu schreiben. Es gibt viele Schönheiten beim Schreiben, und es gibt eine, die in der Klarheit und der Genauigkeit liegt, und es ist die, die mich am meisten interessiert.

Hat die Genauigkeit auch mit Ihrem ersten Beruf, Jurist zu tun?
Ob sie damit zu tun hat ... Richtig ist, dass ich auch im Recht versuche, klar und genau zu schreiben, und dass ich auch beim juristischen Schreiben die Schönheit suche, die darin liegt. Es geht halt um etwas ganz anderes.

Es gibt eine Stelle im Buch, da sagt der Protagonist, ihm seien Geschichtsbücher lieber als Romane, weil es darin die besseren Storys gibt. Können Sie das nachvollziehen?
Nein, ich kann mir ein Leben ohne Romane nicht vorstellen.

Aber dass das Leben gute Geschichten schreibt, wissen Sie ja auch aus Ihrem ersten Beruf.
Natürlich schreibt das Leben gute Geschichten, aber sie müssen von jemandem in Sprache gefasst und geschrieben werden, damit man sie als solche lesen kann.

Sitzt man als Jurist nicht an der Quelle der guten Geschichten?
Ich bin kein Strafrechtler, bei dem es um Mord und Eifersucht und Leidenschaft geht. Mein Feld ist das öffentliche Recht. Da geht’s nicht um das pralle Leben.

Sie haben nie aufgehört, zu unterrichten.
Nein, das Recht war mir immer wichtig. Es ist ein Geschenk, dass ich in meinem Leben beides habe, das Schreiben und das Recht.

Sie beschäftigen sich in Ihrem Romanen stark mit der deutschen Vergangenheit, diesmal hat man den Eindruck, dass es nun auch um eine Auseinandersetzung mit der persönlichen Vergangenheit ist. Es gibt da diesen Satz, wo Sie schreiben, Sie beneiden die Jugend dafür, dass ihre Vergangenheit kürzer ist. Kann man umgekehrt auch sagen: Zu viel Vergangenheit belastet?
Bei allen Irrungen, Verfehlungen und Fehlschlägen möchte man sein Leben doch als sinnvollen Prozess sehen. Das ist mit wenig Vergangenheit leichter als mit viel. Wenn man die viele Vergangenheit nicht als sinnvollen Prozess sehen kann, weil sie zu zerklüftet und zerrüttet war, kann das eine Belastung sein.

Wenig Vergangenheit bedeutet aber auch wenig Erfahrung.
Das ist richtig. Aber wenig Erfahrung kann auch eine Bedingung für ein entlastetes, ein freies Leben sein.

Haben Sie sich als junger Mensch unbeschwerter gefühlt?
Vielleicht nicht unbeschwerter, aber ich habe als junger Mensch gedacht, ich sähe mich und die Welt und die anderen deutlicher und richtiger. Ich wüsste, was Sache ist. Und dann lernt man im Laufe des Lebens, wie viel man nicht weiß.

Sie haben mit „Der Vorleser“ 1995 einen Roman geschrieben, der einer der größten deutscher Erfolge überhaupt und der erste deutsche Roman auf Platz eins der amerikanischen Bestseller-Liste war. Belastet ein solcher Erfolg?
Ich kann ihn mir als Belastung vorstellen, wenn man ihn mit Mitte zwanzig hat. Ich hatte ihn, als ich fünfzig war und schon ein Leben als Jurist hatte, und erlebte ihn einfach als großes Glück. Ein Glück, das man nur einmal hat - ich habe nie gemeint, ich müsste wieder solche Erfolge schreiben, und mich gefreut, dass mir die Leser auch so gewogen blieben.

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Waren Sie damals in die Verfilmung eingebunden?
Ja, Stephen Daldry hat mich von Anfang an beteiligt. Wir haben über die verschiedenen Versionen des Drehbuchs gesprochen, ich habe bei der Suche nach Locations geholfen, und ich konnte meinen Wunsch anmelden, dass Kate Winslet die Hauptrolle spielt. Und in einer Szene können Sie mich sogar eine Nano-Sekunde lang sehen.

Auch Ihr Kollege John Irving spielt in der Verfilmung seines Buches „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ mit: Man sieht ihn sehr kurz als Bahnwärter.
Zunächst sollte ich einen Straßenbahnfahrer spielen. Aber auch im Film muss eine Straßenbahn von einem Fahrer gefahren werden, der eine dreijährige Ausbildung absolviert hat - das wäre denn doch unverhältnismäßig gewesen. Jetzt sieht man mich als Restaurantbesucher.