Kultur

Belvedere-Vizechef: "Gurlitt-Sammlung verkaufen"

In der Debatte um das weitere Schicksal der Kunstsammlung des im Mai verstorbenen Cornelius Gurlitt hat sich der Vizechef des Belvedere, Alfred Weidinger, in scharfem Ton zu Wort gemeldet: In einem Interview mit dem Art Newspaper kritisiert der Kunsthistoriker und Klimt-Experte das bisherige Vorgehen in dem Fall scharf und fordert, dass die Sammlung zugunsten von Holocaust-Opferverbänden verkauft bzw. versteigert werden sollte.

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Wie berichtet, will das von Gurlitt als Erbe designierteKunstmuseum Bernam 26. November entscheiden, ob es die rund 1600 Kunstwerke aus seinem Besitz annimmt oder nicht. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, sie wird Fragen aufwerfen. Denn die Provenienz der 500 Werke, die laut der eingesetzten "Task Force" unter Raubkunstverdacht stehen, ist alles andere als geklärt. Während in Deutschland Kritik an der angeblichen "Langsamkeit" der eingesetzten Forscher laut wird, geißelt Weidinger im Art Newspaper-Interview die Naivität jener, die glauben, dass eine solche Aufgabe rasch erledigt sein könnte.

"Provenienzforschung ist ein unglaublich langwieriger Prozess", erklärt er dort. "Dokumente zu bekommen, ist sehr schwierig, und es gibt kaum je einen Abschluss, weil immer Fragezeichen übrig bleiben. Das ist das Problem mit dieser Hinterlassenschaft."

Anders als in Österreich, wo das Kunstrückgabegesetz seit 1998 eine aktive Provenienzforschung in den Bundesmuseen installiert hat, gibt es in der Schweiz keine entsprechenden Regelungen. Die Gurlitt-Bestände zu übernehmen und nur auf Anfrage von Erben oder derer Vertreter zu reagieren, wäre für das Kunstmuseum Bern aber keine Option, erklärt Weidinger. Mit Raubkunst-Verdacht behaftet, wären die Kunstwerke auch international nicht zu verleihen.

Kernfrage Provenienzforschung

Eine aktive Provenienzforschung zur Gurlitt-Sammlung müsste auf viele Jahre angelegt sein und wäre kostspielig - nicht zuletzt deshalb hofft die deutsche Kulturpolitik wohl, die Sammlung in die Schweiz überantworten zu können. In einer Vereinbarung, die am 9. April 2014 in Kraft trat, wurde erklärt, dass die deutsche Taskforce ihre Arbeit "im Wesentlichen innerhalb eines Jahres" abzuschließen habe - ein unrealistischer Zeitrahmen. Wenn das Kunstmuseum Bern die Bestände übernimmt, würde die Arbeit der Taskforce wohl auf deutsche Kosten fortgeführt werden, hieß es zuletzt in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung - doch wie lange und in welchem Umfang die Provenienzforschung von deutscher Seite weiterhin finanziert wird, ist nicht bekannt.

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Nimmt das Museum die Bestände nicht an, dürften Gurlitts Verwandte zum Zug kommen - einige davon versuchen derzeit, das Testament des Einzelgängers mit Zweifeln an dessen geistiger Verfassungzu torpedieren. Rechtlich wäre es dann für Erben noch schwieriger, ihre Ansprüche geltend zu machen, auch wenn die Verwandten zuletztversprachen, sämtliche Raubkunst zurückzugeben. Ob sie auch die Kosten übernehmen würden, um den Status der Bestände auf "Raubkunst" zur überprüfen, geht aus dem Statement ihres Anwalts nicht hervor.

Für Weidinger gilt es daher, das Risiko eines Erbes an die Verwandten zu "vermeiden". Als "dritten Weg" schlägt er vor, das Kunstmuseum Bern solle das Erbe annehmen, aber die Bestände verkaufen - allerdings erst, nachdem alle Provenienz- und Restitutionsfragen geklärt seien. Die Erlöse sollten dann einer Organisation zugute kommen, die sich um Holocaust-Opfer kümmert. "Die Gurlitt-Sammlung sollte nicht weiter existieren, so unsauber wie sie ist", so Weidinger im "Art Newspaper".

Verkauf als "Schlusspunkt"

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Der Verkaufs-Vorschlag bringt allerdings wieder die Frage ins Spiel, wann denn ein Schlusspunkt zu setzen ist. In Österreich erinnert man sich noch an die "Mauerbach-Auktion" des Jahres 1996: Damals wurden Kunstgegenstände von NS-Opfern, die nach dem Krieg nicht ausgeforscht werden konnten, zugunsten von Überlebenden und Angehörigen versteigert. Was zu jener Zeit als bestmögliche Lösung galt, wurde posthum auch kritisiert - man hätte bei einigen Bildern durchaus noch Eigner oder deren Erben finden können.

Auch wenn die Wissenslage heute anders ist, wird "endgültige Sicherheit" bei einigen Werken kaum herzustellen sein. "Unsichere" Werke würden aber von seriösen Händlern und Auktionshäusern kaum zum Verkauf angenommen. Die Provenienz "Gurlitt" könnte sich auch bei vordergründig "geklärten" Fällen als Bremse für die Kauflust von Sammlern erweisen. Sicher ist nur: Selbst wenn das Kunstmuseum Bern Weidingers Vorschlag folgen sollte, wird die Kunst noch viele Jahre im Museum lagern und untersucht werden müssen.