Kultur

Anna Badora wird neue Volkstheater-Chefin

Der KURIER hatte es schon vor über einem Monat angekündigt, jetzt ist es fix: Am Mittwoch wurde Anna Badora, 62, als neue künstlerische Leiterin des Wiener Volkstheaters präsentiert. Die gebürtige Polin, derzeit erfolgreiche Chefin des Grazer Schauspielhauses, übernimmt ab der Saison 2015/’16 den Posten von Michael Schottenberg.

Badora bekam von der Politik auch ein Antrittsgeschenk: Zusätzlich zu den bereits fixierten, in zwei Jahrestranchen auszuzahlenden 600.000 Euro an Extra-Subvention gibt es zwei Mal 100.000 Euro als „Übergangsbudget“, erklärte Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny.

Anna Badora warb bei ihrer Antritts-Pressekonferenz „um Geduld, Vertrauen und ein bisschen Zeit“. Sie stehe vor der Frage, ob das Volkstheater eine „Herkules-Arbeit, also schwierig, aber schaffbar“ sei – oder „eine Mission Impossible“. Letztlich sei das aber eine Umsetzungsfrage – „was man wie anpackt“.

Badora will den Begriff Volkstheater neu definieren, sieht aber in dem „traditionsreichen, alten Haus“ ein „riesiges Potenzial“. Badora wollte klarerweise erst einige Eckpunkte ihrer künftigen Tätigkeit nennen. Sie will das Haus der Herausforderung der Globalisierung stellen – etwa durch internationale Regisseure, „die auf das Nationale und Regionale einen Blick von außen werfen“. Es gelte, „politische und soziale Fragen aus den Brennpunkten der Welt mit regionalen Fragen zu verbinden“. Ihr zweites Standbein sei es, „die Stadt ins Theater zu holen“. Durch die Arbeit mit Laien will Badora „Berührungsängste abbauen“. Weiters will Badora mit Migranten arbeiten, frische Blicke auf die nationale Dramen-Tradition werfen, die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Autoren pflegen und gezielt junge Menschen ins Theater locken.

Gegen Beton

Ansonsten kündige Badora an – auch auf Nachfrage blieb sie vorsichtig und vage –, mit Unterstützung der Subventionsgeber alte, „in Beton gefasste“ Strukturen im Haus „streng unter die Lupe zu nehmen“, um mit mehr Flexibilität „ein bisschen mehr Geld für die Kunst“ freimachen zu können.

Stadtrat Mailath-Pokorny stritt nicht ab, dass eine bauliche Sanierung des Hauses notwendig sei, ein erster Plan ergab eine dafür nötige Gesamtsumme von 36 Millionen Euro. Ein Finanzierungs- und Zeitplan soll gemeinsam mit dem Bund ausgearbeitet werden.

30 Personen (40 % Frauen) hatten sich für die Direktion beworben, sieben kamen in eine engere Auswahl, drei in die Schlussrunde. Namen wurden keine genannt.

Was ist mit dem Wiener Raunzertum? Wo sind die Nörgler und Besserwisser? Ist ihnen das Volkstheater neuerdings so egal, dass sich das Schimpfen gar nicht mehr lohnt?

Noch selten (wenn überhaupt je in den vergangenen Jahrzehnten) stieß eine zentrale Personalentscheidung im Wiener Theaterbereich auf derart einhellige Zustimmung. Alle professionellen (und unprofessionellen) Zuwortmelder sind begeistert angesichts der Wahl von Anna Badora zur künftigen Direktorin – und auch Ihr Kommentator reiht sich nahtlos in diese Riege ein.

Die Entscheidung, eine echte Nummer 1 an die sogenannte Zweierlinie (und ans zweitgrößte Theater) zu entsenden, ist aus vielen Gründen gut und richtig.

Weil sich Badora (nach Stationen in Deutschland) auch in Graz einen wunderbaren Ruf erarbeitet hat – diese innovative Stadt erweist sich einmal mehr als ideales Sprungbrett (wie zuletzt für die Opernchefin Elisabeth Sobotka zu den Bregenzer Festspielen).

Weil sie sowohl Intendantin als auch Regisseurin ist (das waren ihre Vorgänger Michael Schottenberg und Emmy Werner auch).

Weil sie Wien gut kennt – hier war sie die erste Frau überhaupt, die am Reinhardt-Seminar Regie studierte.

Weil sie aber gleichermaßen von außen kommt und sicher nicht am ortsüblichen Morbus der Verhaberung leidet.

Weil sie mit ihren aktuell 62 das Jugenddiktat bei Topjobs durchbricht.

Badoras erste Ankündigungen lassen vermuten: Es geht wieder aufwärts mit dem attraktiven, aber schwierigen Haus.

Das Volkstheater Wien ist nach dem Burgtheater, als dessen bürgerliches Gegenstück es 1889 gegründet wurde, die zweitgrößte Sprechbühne Wiens. Von Bürgern wie dem Dramatiker Ludwig Anzengruber und dem Möbelfabrikanten Michael Thonet ins Leben gerufen, sollte das Theater breiten Bevölkerungskreisen neben dem Volksstück vor allem klassische und moderne Dramenliteratur nahe bringen.

Im Stil des Historismus von Ferdinand Fellner und Hermann Helmer errichtet, eröffnete der prächtige Bau an der Wiener Zweierlinie am 14. September 1889 mit "Der Fleck auf der Ehr" von Mitgründer Anzengruber. Mit der damaligen Bezeichnung als "Deutsches Volkstheater" wollte man sich von den anderen Nationalitäten der Donaumonarchie unterscheiden.

Als erster Theaterbau entsprach das Haus sämtlichen Sicherheitsvorschriften, die nach den katastrophalen Theaterbränden in Nizza und Wien im Jahr 1881 neu erlassen worden waren, und wurde von Anfang an ausschließlich elektrisch beleuchtet. 1901 und 1911 wurde das Bühnenhaus vergrößert, ab 1939 durch die Nazis in "Kraft-durch-Freude-Theater" unbenannt und architektonisch leicht verändert.

1945 erhielt das Theater nach der Reparatur der durch Bomben entstandenen Schäden seinen Namen "Volkstheater" zurück. Die ursprüngliche Dachkuppel wurde erst zwischen 1980 und 1981 in der Direktions-Ära Paul Blahas rekonstruiert. Die aufwendige Restaurierung brachte auch eine Reduktion der Sitzplätze auf 970 "im Sinn größerer Bequemlichkeit und besserer Sicht" mit sich.

Blaha leitete das Haus am Weghuber-Park bis 1987/88, mit Emmy Werner übernahm danach erstmals eine Frau die Leitung eines großen Wiener Theaters. Sie übergab in der Spielzeit 2005/06 an Michael Schottenberg, der nun mit 2015 seine Direktion an Anna Badora weitergibt. Klassiker in zeitgemäßen Inszenierungen, Ferdinand Raimund und Johann Nestroy als die Eckpfeiler des Wiener Volkstheaters, sowie zeitgenössische Dramatik und Uraufführungen österreichischer Autoren dominierten seit jeher die Spielpläne.

In der Saison 2012/13 beliefen sich die Subventionen auf 11,76 Mio. Euro (Stadt Wien: 6,1 Mio., Stadt für "Theater in den Bezirken": 0,8 Mio., Bund: 4,86 Mio.), ab 2014 sollen sie 12,4 Mio. Euro betragen (Stadt Wien: 6,4 Mio., Stadt für "Theater in den Bezirken": 0,8 Mio, Bund: 5,2 Mio, noch nicht abschließend bestätigt).

"Wir legen ihr nichts in den Weg", erklärte Landesrat Christian Buchmann (ÖVP) zur vorzeitigen Auflösung des bis 2017 geltenden Vertrags mit Anna Badora. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Theaterholding, Alfred Wopmann, sei beauftragt, die Auflösung zu verhandeln. Mit Badora selbst sei er übereingekommen, dass die Saisonen 2013/14 und 2014/15 ordentlich absolviert werden und sich keine Belastungen für die Nachfolge ergeben.

Parallel zu den Vertragsauflösungsverhandlungen habe er Wopmann beauftragt, das Ausschreibungsverfahren in Gang zu setzen. Er rechne damit, dass die Ausschreibung im Frühjahr erfolgen werde und danach eine hochkarätig besetzte Jury einen Vorschlag für Aufsichtsrat und Lenkungsausschuss unterbreiten werde, so Buchmann im Gespräch mit der APA - Austria Presse Agentur. In Graz habe Badora "herausragende Arbeit" geleistet.

"Großer Verlust für Graz"

Für die Stadt Graz - wie das Land 50-Prozent-Eigentümerin der Theaterholding - bedauerte Kulturstadträtin Lisa Rücker (Grüne) den „großer Verlust für Graz“. Badora habe viel Bewegung in das Schauspielhaus gebracht und durch Kooperationen, vor allem mit der Freien Szene, eine belebende Öffnung des Hauses erreicht. "Auch wenn der Wechsel von Frau Badora schmerzhaft ist, gratuliere ich ihr herzlich zur neuen Aufgabe“, sagte Rücker. Wie Buchmann zeigte sich Rücker zuversichtlich, dass wie bei der Oper auch für das Schauspielhaus eine "erfolgsversprechende" bzw. "würdige" Nachfolge gefunden wird.

Die Kultursprecherin der ÖVP Wien, Isabella Leeb, nannte Anna Badora in einer Aussendung "eine exzellente Wahl als neue Intendantin für das Wiener Volkstheater. Aber es ist mit Sicherheit keine leichte Aufgabe, wenn man die Rahmenbedingungen betrachtet, die derzeit das Volkstheater umgeben." Sie hoffe, "dass sie sich mit ihrem Vertrag auch die entsprechenden Bedingungen ausverhandelt hat. Denn das Wiener Volkstheater ist ob seiner Größe und der derzeit herrschenden baulichen Mängel wohl nicht nur künstlerisch sondern auch organisatorisch eine echte Herausforderung."