Kultur

Andrea Breth an der Burg: Komische Tragödie zum Abschied

Gerhart Hauptmanns Drama „Die Ratten“ kommentiert sich selbst. Während im Erdgeschoß eines Mietshauses die Tragödie rund um Armut, Krankheit, Mord und Kindesweglegung vor sich hin gärt, wird auf dem Dachboden, also in der Meta-Ebene, Komödie gespielt.

Pathos

Der ehemalige Theaterdirektor Hassenreuter ringt mit seinem Schauspielschüler Spitta um die Zukunft des Theaters. Kann das Pathos im Sinne Goethes und Hassenreuters überleben – oder wird es vom naturalistischen Theater und seinem bodennahen Tonfall weggefegt, wie Spitta (und Hauptmann) es fordern? Kann ein Dienstmädchen ebenso Gegenstand eines Dramas sein wie ein griechischer Held? Natürlich, sagt Hauptmann, und führt es gleich vor: Im Mittelpunkt der Tragödienhandlung steht Frau John, die für Hassenreuter dessen Kostümfundus auf dem Dachboden betreut. Ihr eigenes Kind ist noch ungetauft gestorben.

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Als sie miterlebt, wie das schwangere Dienstmädchen Pauline laut darüber nachdenkt, ihr Kind nach der Geburt zu töten, beschließt sie, ihr das Neugeborene abzukaufen. Doch Pauline fordert das Kind zurück. Johns gewalttätiger Bruder Bruno soll Pauline einschüchtern, doch er bringt sie um. In die Enge getrieben, begeht Frau John Selbstmord.

Einheitsraum

Bei Andrea Breths Inszenierung im Burgtheater ist die räumliche Trennung aufgehoben, gespielt wird in einem sich drehenden Einheits-Bühnenbild (natürlich von Martin Zehetgruber), dominiert durch Linienglaswände, Papierfetzen und riesige Ratten. Das ist ein Problem, denn dadurch wird es schwierig, der Handlung zu folgen.

Breth lässt zum Teil ganz naturalistisch spielen, dann aber auch wieder völlig abstrakt. Und natürlich setzt sie auf ihre bewährten Mittel: Zeit und Genauigkeit. Manche Szene profitiert davon, andere wirken zerdehnt. Gegen Ende der zweieinhalb pausenlosen Stunden (nichts trinken vorher!) bekommt die Langsamkeit etwas unangenehm Pathetisches, Raunendes.

Bechtolf

Ein weiteres Problem: Die Aufführung hängt schief. Breth hat sich, ungewöhnlich für sie, offenbar für den einen Teil des Stücks mehr interessiert als für den anderen. Die Komödienhandlung, in der sich das Theater gleichermaßen selbst abschafft, dominiert.

Vielleicht liegt es daran, dass Sven-Eric Bechtolf als Theaterdirektor Hassenreuter gar so gut spielt (hervorragend assistiert von Christoph Luser und Stefan Hunstein als Schauspielschüler) – aber man lacht und freut sich über gelungene Anspielungen und verliert nach und nach das Interesse an dem gestohlenen Kind.

Wokalek

Dass die Tragödienhandlung nicht völlig untergeht, liegt an der fantastischen Johanna Wokalek, die ihrer Figur, der verzweifelten Frau John, eine hervorragende Anwältin ist. Oliver Stokowski als ihr grob-sensibler Mann und Nicholas Ofczarek als ihr nach Gewalt süchtiger Bruder sind ebenfalls sehr gut. Sarah Viktoria Frick gibt die Pauline fast zu brav, aber wie immer überzeugend.

In vielen kleinen Rollen brillieren große Darsteller: Sylvie Rohrer, Marie-Luise Stockinger, Andrea Wenzl, Branko Samarovski ... auch Burg-Heimkehrerin Andrea Eckert hat einen höchst dramatischen Auftritt.

Vieles an dieser keineswegs schlechten, aber ein wenig in sich selbst verliebten Aufführung ist einfach zu viel: Zu viele zu merkwürdig agierende Statisten, zu große Rattenfiguren, zu viele stumme Drehbühnen-Umdrehungen, zu viele Requisiten des Elends (sogar eine Klomuschel steht da herum).

Abschied

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Am Ende gibt es sehr freundlichen Applaus und einige Bravos. Danach tritt Andrea Breth an die Rampe und verkündet, dass dies ihre letzte Burg-Inszenierung war. Das Publikum bedankt sich für viele Jahre und viele große Arbeiten mit Jubel.

Die letzte Inszenierung wird möglicherweise nicht als die stärkste in Erinnerung bleiben, aber sie zeigt noch einmal, was diese einzigartige Regisseurin kann: Texte so lange und so genau zu lesen, bis sie ihre Geheimnisse freigeben – oder neue Rätsel aufgeben.