Kultur

"Alphabethaus": Ein Wahnsinnsfilm zum Lesen

Fallen wir mit der Tür ins Haus: A 15,3 bedeutete in den Lazaretten des „Dritten Reichs“ geringe seelische Abartigkeit, ansonsten voll diensttauglich; und vU 15,2 zum Beispiel war der Code für hochgradigen Schwachsinn. Daran sieht man schon: „Das Alphabethaus“ ist nicht die Fortsetzung von „Erbarmen“ und „Schändung“ und „Erlösung“.

Band vier der Reihe ums dänische Sonderdezernat Q mit Kommissar Mørck erscheint zeitgerecht im September zur Wiener Kriminacht. Da wird Jussi Adler-Olsen sogar Stargast sein. „Das Alphabethaus“ war sein Debütroman, 1997 – und meilenweit entfernt von seinen späteren Krimis. Er machte ihn in Skandinavien, aber auch in Spanien und den Niederlanden berühmt. Die deutsche Übersetzung ließ auf sich warten: Fast 600 Seiten mit Krieg und Psychiatrie schienen zu gewagt.

Aber in etwa zwei Wochen liegt „der beste Film, den ich je gelesen habe“ (Filmproduzent und Oscar-Preisträger Just Betz), in den österreichischen Buchhandlungen.

Drei Sätze

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Jussi Adler-Olsens Vater war Psychiater. Der Bub wuchs in – wie man damals sagte – Nervenheilanstalten auf. Dort lernte der Sechsjährige übrigens einen Geisteskranken kennen, der mehrere Menschen umgebracht hatte: Mørck (was „dunkel“ bedeutet) ...

Der Kleine wunderte sich sehr. Auch über den Langzeitpatienten, der nur zwei Sätze sprach. Erstens: „Ja, da ist was!“ Und zweitens: „Oh. Gott sei Dank.“ Viele Jahre später hatte der Mann einen dritten Satz im Repertoire. Seinen besten: „Leck mich am Arsch.“ Simulierte er? War er wirklich krank? Oder war eher die Zeit krank?

Darum geht es im nahezu unfassbaren „Alphabethaus“ – einer Fiktion, die eine historische Basis hat: Es gab Lazarette für „übergeschnappte“ SS-Offiziere, die fürs Schlachten so hoch dekoriert worden waren, dass man sie nicht einfach wegjagte oder erschoss, sondern mit Medikamenten vollstopfte, um sie wieder an die Front zu schicken.

Viel darf man nicht verraten, sonst ist der Thriller tot. In den letzten Kriegsmonaten stürzen zwei englische Piloten hinter den deutschen Linien ab. Sie schaffen es, auf einen Zug zu springen. Es ist ein Sanitätstransport. Sie werfen zwei Tote aus dem Eisenbahnfenster, legen sich hin, schlüpfen in deren Nazirolle. Reden dürfen sie halt nichts.

Im Lazarett bekommen sie Elektroschocks und Tabletten. Kann man da normal bleiben? Die Engländer sind nicht die einzigen Simulanten. Auch was drei Jahrzehnte später in Freiburg im Breisgau geschieht, macht fassungslos.

Der wahnsinnige Krieg auf der einen Seite und die vielleicht Wahnsinnigen auf der anderen – das ist der Stoff, der einen beim Lesen vorübergehend narrisch werden lässt.

Zur Person: Dänischer Exportschlager

Leben: Jussi Adler-Olsen, 1950 in Kopenhagen geboren, studierte Medizin, Film, Soziologie und politische Geschichte. Nicht alles hat er beendet, aber alles Gelernte kommt ihm bei seiner schriftstellerischen Arbeit, mit der er 1997 begann, zugute. Vorher arbeitete er als Verlagsleiter, Journalist und Komponist. Adler-Olsen ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in der Nähe von Kopenhagen.

Karriere: Nach dem „Alphabethaus“ schrieb er politische Thriller, die noch nicht übersetzt wurden. 2007 begann er die Serie ums Sonderdezernat Q und wurde zum bestverkauften dänischen Krimiautor. „Erbarmen“, „Schändung“ und „Erlösung“ (alle bei dtv) schafften es auf sämtliche deutsche Bestsellerlisten. „Erlösung“ war in Deutschland sogar der erfolgreichste Belletristik-Titel 2011.