Kultur

„Alle haben hässliche Beine“

Ein Sommerhaus an der Küste im US-Bundesstaat Maine, in dem seit Jahrzehnten Familientradition gepflegt wird. Drei Generationen von Frauen schlagen sich mit irisch-katholischer Schuld und Sühne herum. Klingt nach typischem Frauenbuch? Die Schriftstellerin J. Courtney Sullivan erklärt, warum sie dieses Wort nicht leiden kann.

KURIER: Auf Twitter erfährt man, dass Sie Feministin sind. Was bedeutet denn das im Jahr 2013?

J. Courtney Sullivan: In den USA wird viel darüber diskutiert, dass heutzutage niemand mehr Feministin sein will. Ich glaube, das war noch nie wirklich populär.

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Sie haben ein Buch darüber veröffentlicht (derzeit nur auf Englisch erhältlich).
Ja, es heißt „The Feminist-Click-Moment“. Es geht um den Moment, in dem man sich bewusst wurde: Ich bin Feministin. In der ersten Ausgabe von Gloria Steinems Magazin Ms von 1972 gab es diesen Essay namens „The housewife’s moment of Truth“, in dem sie von dem Moment spricht, in dem Frauen begreifen: Ich muss mich selbst behaupten. Ich fragte mich: Gibt es so einen Moment auch für unsere Generation? Ich glaube, es gibt ihn für die meisten Frauen, aber es ist noch immer ungewöhnlich, darüber zu reden.

Deswegen tun Sie das, damit sich die anderen auch trauen.
Ja. Ich glaube, viele junge Frauen sind lange der Meinung: Wir sind fertig, die Kämpfe sind ausgefochten. Bis der persönliche Moment kommt, in dem sie merken: Es gibt noch viel zu tun.

Viele Medien wärmen mit großer Begeisterung bestimmte Frauen- und Männer-Klischees auf. Marke: Frauen denken nur an Schuhe, Männer nur an Fußball. Was halten Sie davon?
Es gibt ein großes Interesse am Wiederkäuen dieser Behauptungen. Bei uns zu Hause läuft viel Sportfernsehen. In der Werbung dazwischen gibt es eine grundlegende Message: Sämtliche Frauen sind Giftspritzen, die nur ans Shoppen denken.

Was denken Sie, wenn Sie sehen, wie Ihre Bücher promotet werden? In manchen Medien wurde „Sommer in Maine“ als Frauenroman angekündigt. Was soll das überhaupt sein?
Schwierig. Einerseits ist das ein gutes Marketing-Instrument, das allein der Tatsache geschuldet ist, dass Belletristik meist von Frauen gelesen wird. Andererseits ist es sehr störend, wenn ein Buch, das von Frauen handelt, als Frauenbuch bezeichnet wird. Letztens hörte ich eine sehr renommierte Schriftstellerin sagen: „Das ist der Grund, warum ich immer männliche Hauptdarsteller habe. Sonst wird man als Schriftstellerin nicht ernst genommen.“ Ich war schockiert.

Apropos Marketing: Das amerikanische Cover Ihres Buches zeigt ein Model am Strand. Wie passt denn das zum Inhalt des Romans?
Gar nicht! Das ist geradezu absurd, weil sämtliche Protagonistinnen davon sprechen, dass in der Familie alle hässliche Beine haben.

Autoren dürfen bei Cover-Entscheidungen überhaupt nie mitreden?
Na ja, das kannst du, wenn du Stephen King bist. Aber dann ist es dir auch egal.

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Auch Sie kommen, wie die Protagonisten Ihres Romans, aus einer großen irischen Familie und haben im Buch viel Selbsterlebtes verarbeitet. Hatten Sie nie Angst, jemanden aus Ihrer Verwandtschaft vor den Kopf zu stoßen?
Nun, meine ganze Familie war nervös. Bei einer Feier stand ein Onkel, sonst eher ein zugeknöpfter Mensch, auf und sagte: „Ich wollte dir bloß sagen, dass wir dich alle lieben. Ich sag’ das lieber gleich jetzt, denn wenn dein Buch rauskommt, wird keiner von uns mehr mit dir reden.“

Und? Haben Sie jetzt noch Familienanschluss?
Ja. Lustigerweise haben die, die gemeint waren, es gar nicht gemerkt. Mein Vater sagt immer, ich soll nicht zensurieren, was ich cool finde. Ich glaube, wenn meine Tochter eines Tages den Wunsch hätte, Schriftstellerin zu werden, würde ich zu ihr sagen: „Bitte, bitte, werde lieber Zahnärztin.“

Die Frauen der Familie Kelleher kann man nicht unbedingt als beste Freundinnen bezeichnen.
Mutter Alice, Witwe, will am Ende ihres Lebens ungestört ihrem Alkoholismus frönen. Auf der Veranda sitzen, Zigaretten rauchen und aufs Meer schauen. Man versteht das. (Die übergroße Sympathie für den jungen Pfarrer versteht man da schon eher weniger).

Ihrer Tochter Kathleen hat sie nichts mehr zu sagen. Es hätte sie ohnehin nicht interessiert: Kathleens Lebensmittelpunkt ist ihr versiffter Bauernhof in Kalifornien, wo sie Wurmdünger züchtet.
Und Enkelin Maggie ... sagen wir so: Sie ist einem Idioten verfallen.

Mit „Sommer in Maine“ ist der erst 31-jährigen Autorin und Journalistin J.Courtney Sullivan ein kluger und warmherziger Roman gelungen.
Und ein Spagat, den Schriftsteller äußerst selten zusammenbringen: Denn Hausfrauenzeitschriften wie Good Housekeeping liebten dieses Buch in ihren Besprechungen ebenso wie das renommierte Time Magazine.