Kultur

Wegen des Ukraine-Kriegs: Albertina nennt Namen von Leihgeber nicht

Kurz vor seinem Abschied als Albertina-Generaldirektor erinnert Klaus Albrecht Schröder nicht nur mit einer Chagall-Schau an sein Faible für russische Avantgarde. Die permanente Modernismus-Ausstellung im zweiten Stock des Haupthauses ist mit zahlreichen Leihgaben einer einschlägigen Privatsammlung ergänzt worden. Ihr Besitzer Vladimir Tsarenkov bleibt in der Schau anonym - und überrascht bei Nachfragen mit einer unmissverständlichen Warnung.

Zumindest 65 Kunstwerke von Künstlerinnen und Künstlern aus dem russischen Kaiserreich oder der Sowjetunion lassen sich im Albertina-Onlinekatalog der Sammlung Tsarenkov zuordnen, zumindest 17 davon waren zuletzt in der Albertina ausgestellt. Darunter befinden sich eindrucksvolle Gemälde von Alexander Dejneka, Alexandra Exter, Boris Grigorjew und Michail Larionow oder Skulpturen von Wladimir Baranow-Rossiné und Dawid Jakerson.

Hatte jedoch das Kunstmuseum Liechtenstein 2021 die temporäre Übernahme von Arbeiten aus dieser Privatsammlung groß angekündigt und präsentiert, war dies in Wien anders: Die Albertina machte die Leihgabe nicht öffentlich. Im Gespräch mit der APA schildert Schröder die Konditionen: Die Werke wurden dem Museum ohne Leihgebühren für zumindest fünf Jahre zur Verfügung gestellt, der Sammler kam sogar selbst für die Versicherung auf. Es sei im Augenblick gar nicht so leicht, eine Sammlung zu versichern, die einen russischen Namen trage, so der Museumschef. Grundsätzlich sei es das Recht von Leihgebern, wie sie genannt werden wollen. Im konkreten Fall habe es einen besonderen Grund dafür gegeben, den Sammler nicht anzuführen, und er habe dies auch gut nachvollziehen können: "Die Nichtnennung des Sammlers ist keine Tsarenkov-Geschichte, sondern eine Geschichte von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine."

Beschwerden wegen russischer Künstler

Auch ohne den Namen des Sammlers anzugeben, bekäme man jede Woche ein bis zwei Beschwerden darüber, dass Künstler aus Russland im Museum gezeigt würden. "Meine Position zur Besetzung der Ukraine und zum Angriffskrieg gegen die Ukraine ist klar. Und alles, was die russische Position relativiert oder zurückdrängt, ist mir willkommen", erläutert Schröder. Gleichzeitig wolle er aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und weder Kasimir Malewitsch noch Dawid Burljuk oder Alexandra Exter zur "ukrainischen Avantgarde" erklären. Schließlich hätten sie ihre künstlerische Karriere zur Zeit des russischen Kaiserreichs in St. Petersburg gemacht. Auch würde ihm dies schwerfallen, da die Albertina 2016 mit "Von Chagall bis Malewitsch" eine Ausstellung über die "Malerei der russischen Avantgarde" gemacht habe.

Da Tsarenkov bei früheren Ausstellungen seiner Werke zumeist als Besitzer genannt worden war, ist der 1948 in der Sowjetunion geborene, 1980 nach Frankreich emigrierte und später nach London übersiedelte Eigentümer der Albertina-Dauerleihgabe freilich einfach zu identifizieren. Der "Financial Times" erzählte er 2016, dass er in der Sowjetunion als Lehrer gearbeitet habe. Kurz nach seiner Emigration war er jedenfalls bereits im französischen Kunsthandel aktiv.

"Das ist keine Drohung"

Fragen zu seiner Biografie vor und auch nach seiner Emigration beantwortet der 75-Jährige nur ungern. Ob er neben der französischen auch über die russische Staatsbürgerschaft verfügt, bleibt daher ungeklärt. In einem etwa einstündigen Gespräch in einem Wiener Innenstadthotel empfiehlt er "freundschaftlich", manche Themen - etwa kritische Anmerkungen zur Autorenschaft eines konkreten Kunstwerks - in etwaigen Artikeln besser nicht zu tangieren und kündigt an, bei "kleinsten Ungenauigkeiten" in der ihn betreffenden Berichterstattung, die Gerichte bemühen zu wollen. "Das ist keine Drohung, sondern eine Warnung. Sie müssen ausschließlich überprüfte Informationen schreiben", unterstreicht er auf Russisch.

Auskunftsfreudig ist Tsarenkov lediglich in Bezug auf eine Arbeit, die in der Vergangenheit für Diskussionen unter Avantgarde-Experten gesorgt hatte: In der prominenten Nachbarschaft zu Kasimir Malewitschs "Mann in suprematistischer Landschaft", einem der bekanntesten Gemälde aus der Sammlung Batliner im zweiten Stock der Albertina, befindet sich ein auffälliges Objekt aus roten Holzelementen, das in Wien mit "Suprematistische Architekturkonstruktion / 2. Hälfte der 1920er-Jahre" betitelt ist.

In einer vergleichsweise kurzen Ausstellungsgeschichte änderte diese Arbeit, als deren Künstler in der Albertina der sowjetische Architekt Wladimir Helfreich genannt wird, ihre Bezeichnung: Im Sommer 2017 war sie in der Stiftung des Putin-nahen Oligarchen Leonid Michelson in Venedig noch als von Helfreich und seinem Kollegen Lew Iljin stammendes "Design für ein Lenindenkmal in Leningrad" gezeigt worden - mit einem kleinen Lenin-Figürchen an der Spitze. Nachdem der wie Tsarenkov aus der Sowjetunion gebürtige Kunstsammler Alex Lachmann Zweifel an der Authentizität dieser Kombination anmeldete, verzichtete in Folge das Art Institute of Chicago auf eine geplante Präsentation des Kunstwerks. Ohne Lenin tauchte es nun in der Albertina wieder auf.

Der ursprüngliche Fehler sei passiert, weil der mittlerweile verstorbene Verkäufer der Installation, Enkel eines mit den Urhebern befreundeten Architekten, eigenmächtig ein Leninfigürchen hinzugefügt habe, erzählt Tsarenkov. Dies sei ihm vom Urenkel dieses Erstbesitzers in einer eidesstattlichen Erklärung auch bestätigt worden, sagt er. Auf der Rückseite der Installation stünden auch die Namen der Autoren. "Alle meine Arbeiten haben eine tadellose Dokumentation zur Echtheit und Provenienz", sagt er.

Anders als der Besitzer ist Schröder noch nicht völlig überzeugt. "Was die Zuschreibung dieser Architekturkonstruktion betrifft, sind wir noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen", sagt er. Die ursprüngliche, seit vielen Jahren existierende Zuschreibung sei vorschnell gewesen, das Lenin-Figürchen laut einer Materialanalyse erst später hinzugefügt worden. Möglicherweise habe dieses Werk aber auch einen anderen Autor als den bisher angenommenen. Dies ändere jedoch nichts an der Datierung.

Im Wandtext zu dem Objekt findet sich von diesen Fragezeichen jedoch keine Spur. "Sie werden in der Albertina fast als Regel keine Zuschreibungsdebatten in Labels finden. Das überfordert die Besucherinnen und Besucher. Das ist nicht der Ort, wo man wissenschaftliche Attributionsdiskussionen führt", begründet Schröder.

(Von Herwig G. Höller/APA)