Kultur

Ein Film wie ein Langstreckenflug

Wenn es einen Preis für die Länge eines Filmes gebe, hätte die diesjährige Berlinale bereits einen Gewinner. Mit schlanken 482 Minuten Filmlänge wäre der philippinische Starregisseur Lav Diaz und sein Wettbewerbsbeitrag "A Lullaby to the Sorrowful Mystery" eindeutig der Sieger.

Dass Diaz lange Filme macht, ist nicht außergewöhnlich, das macht er immer. Aber dass sein Achtstünder im Wettbewerb läuft, ist doch etwas Besonderes. Und so kam es auch, dass der Regisseur und seine Schauspieler bereits morgens um halb zehn in eleganter Abendrobe über den roten Teppich schritten. Gewitzte Zuschauer hingegen brachten Nackenkissen mit ins Kino, wie für einen Langstreckenflug.

Wie so oft, erzählt Diaz auch "Lullaby" in Schwarz-Weiß: In feinsinnig-schlichten, manchmal fast traumtänzerischen Szenarien entfaltet er verschiedene Geschichten, die rund um die philippinische Revolution gegen die Spanier 1896–1897 kreisen. Und tatsächlich ist es gerade die Entschleunigung und die Zerdehnung von Zeit, die einen Lav-Diaz-Film zum Erlebnis macht.

Ob Meryl Streep und ihre Preisjury ein derartiges Seherlebnis zu schätzen wissen, wird sich Samstagabend bei der Bären-Verleihung zeigen. Obwohl sich bereits das Ende der Berlinale nähert, will sich kein rechter Favorit abzeichnen. Nur Gianfranco Rosis Doku "Fuocoammare", die von den Bewohnern der Insel Lampedusa und den dort gestrandeten Flüchtlingen erzählt, wird schon allein der Thematik wegen eine Preischance eingeräumt.

Bei den Preisen für die beste Schauspielerin zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Isabelle Huppert und der Dänin Trine Dyrholm ab. In dem verblasenen Wettbewerbsbeitrag "Die Kommune" von Thomas Vinterberg (Vinterberg inszenierte "Die Kommune" auch als Theaterstück am Wiener Burgtheater, Anm.) wird Dyrholm von ihrem Ehemann für eine Studentin verlassen. Während Huppert in Mia Hansen-Løves "L’Avenir" das gleiche Schicksal erleidet und dieses zwar verletzt, aber unsentimental zur Kenntnis nimmt, muss die großartige Dyrholm das Martyrium der verlassenen, älteren Frau durchleben. In ihrer Rolle als Anna beginnt sie zu trinken, sich zu demütigen, verliert ihren Job und fliegt schließlich sogar aus der Hausgemeinschaft, in der sie mit Mann, Tochter, Freunden – und zuletzt auch der Geliebten ihres Mannes – lebt.

Vinterberg konzentriert sich auf das Drama der zerbrechenden Ehe und verliert dabei die titelgebenden Kommune aus den Augen. De facto hätte er die gleiche, grausame Geschichte auch in einer Drei-Zimmer-Wohnung erzählen können – ganz ohne Wohngemeinschaft.

Offensichtlich aber berichtet Vinterberg aus dem eigenen Leben. Er selbst habe, wie er freimütig gesteht, seine langjährige Ehefrau verlassen und gegen eine jüngere Frau eingetauscht: Sie ist es auch, die in "Die Kommune" die Geliebte spielt.

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Miles Davis

Schade nur, dass bei den Schauspielerpreisen Don Cheadle nicht infrage kommt. In seinem Regiedebüt "Miles Ahead" – gezeigt als Berlinale Special – spielt Cheadle den Ausnahmemusiker Miles Davis mit großem, oft komischen Furor. Nur wenige Tage zuvor hatte sich Regisseur Spike Lee, der in Berlin seine Rap-Revue "Chi-Raq" präsentierte, noch einmal darüber ärgern müssen, dass heuer kein schwarzer Schauspieler für die Oscars nominiert wurde. Im nächsten Jahr hat die Academy jedenfalls keine Ausreden mehr.