Kultur

50. Geburtstag: Die Kassette lebt weiter

Heuer werden auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin Lösungen für "smarte" Haushalte und TV-Geräte in Ultra High Definition vorgestellt, vor 50 Jahren gab es auf der Branchenmesse Attraktionen ganz anderer Art. Der Elektronikkonzern Philips präsentierte 1963 neben dem Taschen Recorder 3300 die erste Compact Cassette.

Ursprünglich als Diktierband gedacht, wurde die Audiokassette bald von der Tonträgerindustrie entdeckt, die ab 1965 auch Alben und Singles als Musikkassette veröffentlichte. Das in rechteckiges Plastik eingepasste Magnetband überholte in einigen Ländern sogar Schallplatte und CD und brachte es Anfang der 90er Jahre für kurze Zeit zum populärsten Tonträgerformat beim Verkauf von Alben. Dazu trug neben der Verfügbarkeit von Kassetten-Playern in Autoradios auch der Sony Walkman bei, der 1979 in den Handel kam.

"Erinnerung an eine analoge Welt"

In Österreich konnten die in Plastik verpackten Magnetbänder zwar Schallplatten oder CDs nie überholen, sie hielten über viele Jahre hinweg aber einen soliden Marktanteil von 25 bis 30 Prozent, wie es aus dem Verband der Österreichischen Musikwirtschaft (IFPI) heißt.

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Zu ihren Spitzenzeiten, in den Jahren 1990 und 1991 wurden hierzulande jährlich rund 3,5 Millionen Musikkassetten verkauft. Seither ging es mit dem analogen Tonträger bergab. Im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 2000 Stück abgesetzt. "Das gerollte Band hat etwas sehr Nostalgisches", sagt IFPI-Austria-Geschäftsführer Franz Medwenitsch. "Der Ärger über den Bandsalat ist längst vergessen und es bleibt die Erinnerung an eine analoge Welt, die von den Herausforderungen der vollen Digitalisierung noch nichts wissen konnte."

"Emanzipation des Konsumenten"

Die Möglichkeiten der Digitalisierung deuteten sich in dem analogen Tonträger aber bereits an. Leerkassetten ermöglichten es erstmals der breiten Masse, Musik aus dem Radio oder vom Plattenspieler aufzunehmen. "Es war für Nutzer plötzlich möglich relativ einfach Kopien anzufertigen. Der Konsument konnte zum ersten Mal Musik speichern, das war davor nur Professionalisten möglich", sagt der Musikwirtschaftsforscher Peter Tschmuck von der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. "Die Kassette hat zu einer Emanzipation privater Nutzer geführt, die digitale Revolution wurde vorweggenommen."

Nutzer konnten sich auf Leerkassetten eigene Abfolgen von Songs zusammenstellen und die Mixtapes auch an Freunde weitergeben. Das Mixtape habe die Art und Weise, wie Musik gehört wird, nachhaltig beeinflusst, meinte der Musikjournalist und Autor des Buches "Love is a Mixtape", Rob Sheffield kürzlich gegenüber dem Magazin "Time": "Das Publikum hat diese Art des Teilens selbst erfunden."

Der Tonträgerindustrie war das Mitschneiden und die Weitergabe von Tonaufnahmen schon damals ein Dorn im Auge. Der britische Arm des Verbandes der Internationalen Tonträgerindustrie (IFPI) startete 1980 die Kampagne "Home Taping is Killing Music". Die Abbildung einer Musikkassette unter der sich zwei gekreuzte Knochen befinden, konnte das private Kopieren von Musik zwar nicht eindämmen, lieferte aber eine Steilvorlage für zahlreiche Parodien. "Home taping is killing big business profits", ätzte etwa die US-Punk-Band Dead Kennedys, die auf ihren Kassettenveröffentlichungen eine Seite für Aufnahmen der Fans frei ließ.

"Leerkassettenabgabe"

Zunächst in Deutschland und Anfang der 80er Jahre auch in Österreich führte der Zank um private Kopien zu einer Abgabe auf Speichermedien, die hierzulande noch immer als "Leerkassettenvergütung" bekannt ist und deren Ausweitung auf Festplatten zuletzt heftig diskutiert wurde.

Mit Playlisten, wie sie heute jeder auf zahlreichen Online-Musikdiensten oder mit Musik-Software wie iTunes zusammenstellen kann, lebt dieTradition des Mixtapes fort. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied. Das Erstellen analoger Mixtapes war eine zeitaufwendige Herzenssache. Platten wurden durchgehört, Songs auf ihre Tauglichkeit überprüft und in oft stundenlanger Kleinarbeit auf die Magnetbänder überspielt. Heute werden digitale Files in Sekundenschnelle hin- und hergeschoben. Conaisseure erstellen ihre Playlisten deshalb auch weiterhin auf Kassetten: "Bei digitalen Playlisten ist die Beziehung zur Musik nicht so stark", meint ein Kenner.

Kassettenlabels boomen

Verschwunden ist die Audiokassette aber noch lange nicht. Im Independent-Bereich, wo das Tonträgerformt seit jeher eine wichtige Rolle spielte, hat sich in den vergangenen Jahren eine lebhafte Kassettenlabel-Szene entwickelt. Ein Grund dafür ist, das Kassetten vergleichsweise billig produziert werden können. "100 Stück kosten 200 bis 250 Euro", sagt Christian Sundl vom Grazer Kassettenlabel Wilhelm show me the Major Label, das seit seiner Gründung im Jahr 2008 rund 30 Kassetten österreichischer Bands und Musiker veröffentlicht hat. "Mit der Kassette wird auch das Album aufgewertet", meint Sundl. "Man kann nicht so leicht zwischen den Liedern springen und muss die Kassette durchhören."

Käufer von Veröffentlichungen des Labels erhalten zur Musikkassette auch einen Downloadcode, mit dem die Songs auch digital heruntergeladen werden können. Eingelöst würden aber relative wenige Codes, erzählt Sundl: "Nur 15 bis 20 Prozent laden die Musik herunter, die meisten hören tatsächlich die Kassetten."

"Kassettenkinder"

Aber auch im Kinderzimmer sind Audiokassetten noch präsent. Der deutsche Hersteller optimal Media produziert jährlich noch bis zu 500.000 Audiokassetten, die neben Veröffentlichungen unabhängiger Musiker vorwiegend mit Hörspielen, Märchen und Lieder für Kinder bespielt werden. Kinder können mit den stabilen Kassetten besser umgehen als mit CDs oder MP3-Playern. Das Angebot wird jedoch kleiner. So stellte etwa der auf Hörspiele für Kinder spezialiserte Europa-Verlag im vergangenen Jahr die Kassettenproduktion ein. Mit einer Ausnahme. Die Detektivserie "Die drei ???" wird auch weiterhin auf Musikkassette veröffentlicht. "Kassettenkindern" und Sammlern unter den "Drei ???"-Fans wolle man die Serie "bis ans Ende aller Bänder" auch weiterhin als Kassette liefern, heißt es aus dem Unternehmen.

Tot ist die Kassette noch lange nicht, sie hat es sich in überschaubaren Nischen gemütlich gemacht. Anders als bei Schallplatten, die seit einigen Jahren wieder satte Zuwächse verzeichnen konnten, stagniert der Absatz auf niedrigem Niveau. "Die Nachfrage ist nach einem deutlichen Rückgang Ende der 90er Jahre in den vergangenen Jahren stabil geblieben", sagt Bernd Altmann, Abteilungsleister der Datenfertigung beim Hersteller optimal media: "Wir haben eine gute Grundauslastung, der Trend geht allerdings nicht nach oben." Der Massenmarkt sei vorbei, sagt Musikwirtschaftsforscher Tschmuck. "Die Kassette ist heute eine Liebhaber- und Sammlerangelegenheit."

Dokumentarfilm und Cassettestore Day

Dass das Interesse an dem analaogen Format nach wie vor besteht, zeigt der Dokumentarfilm "Cassette", der New Yorker Filmemacher Zack Taylor und Seth Smooth, der derzeit gerade abgedreht wird und 2014 in die Kinos kommen soll. Finanziert wurde der Streifen, der auf die Geschichte des analogen Tonträgers zurückblickt, über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter, wo immerhin mehr als 25.000 Dollar zusammenkamen.

Die Kassettenkultur feiern will heuer zum ersten Mal auch der Cassettestore Day, der weltweit am 7. September begangen wird. Nach dem Vorbild des Record Store Days werden zahlreiche Musiker, darunter Indiegrößen wie Deerhunter und Animal Collective, zur Feier des analogen Tonträgers Sondereditionen auf Kassette veröffentlichen. Auf der Website des Cassettestore-Days erinnert auch der britische Musiker Bobby Gillespie daran, warum man die Kassette schätzen sollte: "Musik klingt auf Kassetten großartig", schreibt der Primal Scream-Frontman: "Warm und fett."