Zum Skifahren über die Grenze - wie radikal ist das bitte?
Von Axel Halbhuber
Es verschlug mich dieser Tage in das italienische Hochtal von Livigno. Das liegt quasi im letzten Winkel der Lombardei an der Grenze zur Schweiz. Die Häuser sind aus sehr altem Holz oder Steinen, die Geschichten drehen sich um alte Schmugglerwege und die Mühen eines Lebens, das bis in die 1950er- Jahre weitgehend abgeschieden von der restlichen Welt stattgefunden hat.
Wintersport in einem solchen Tal, das noch dazu auf 1.800 Meter Höhe liegt und rundherum Blicke auf Berge bis 4.000 Meter bietet (allerdings auf Schweizer Seite), ist erwartungsgemäß von hoher Güte: die Pisten liegen mehrheitlich über der Baum- grenze, wodurch sich weiße Bergrücken ergeben, bei denen sogar Moby Dick neidisch werden würde; die Loipe schlängelt sich breit und unbefleckt bis in die märchenhaftesten Ecken des Tals; einige der gebotenen Skitouren sind als „managed trails“ so angelegt, dass auch Novizen eine Freude daran haben (abgesehen davon, dass es einfach sehr, sehr anstrengend ist, mit Ski einen Berg nach oben zu wandern, aber man sollte das einmal versucht haben); und die Kreativität des Angebotenen ist von Snow-Kartfahren über Biathlon-Selbstversuch bis E-Mountain-Fatbiken groß genug, dass man sich einmal einen Ski-freien Tag gönnen kann.
Nun ist Skiurlaub im Ausland für den gelernten Österreicher ja mitunter das Exotischste, das man tun kann. Wozu, fragen die einen, wir haben doch selbst so schöne Berge, sagen die anderen. Stimmt alles, ich selbst habe neunundneunzig Prozent aller meiner Skischwünge auf rot-weiß-roten Pisten gezogen.
Aber sich zu Mittag auf einer Hütte zwischen der vielleicht besten Carbonara aller Zeiten, den Kastanien-Tagliatelle mit Hirschragù oder den Linguine mit Scampi in einer Pistazienkruste entscheiden zu müssen, ist auch eine Interpretation des Winters, bei der Widerstand sehr, sehr anstrengend ist.