Kolumnen/Wortklauberei

Zimmer mit Aussicht auf Meer und WC

Wenn Ihr Energieanbieter, Ihr Autohändler oder gar Ihr Lieblingswirt die Preise anpasst, verheißt das nichts Gutes – denn: Sie zahlen demnächst mehr. Dabei ist das Wort „anpassen“ von vornherein gar nicht negativ besetzt: Das Chamäleon passt sich seiner Umgebung an, der Mensch passt sich an das Klima an (indem er mehr schwitzt), der Schneider passt die Hose an (meistens, indem er sie weiter macht). Wird ein an sich neutraler Begriff dazu verwendet, etwas Negatives zu kaschieren, spricht man von Euphemismus (= beschönigende Umschreibung). Der Begriff enthält die griechische Vorsilbe eu- = „gut, schön“, die auch in den Begriffen Euthanasie (wörtl.: „schöner Tod“), Euphorie (wörtl.: „leichtes Tragen“) und Eukalyptus („schön verhüllt“, wegen des geschlossenen Blütenkelchs) enthalten ist.

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Häufig werden Euphemismen in der Wirtschaft und der Politik verwendet, um unpopuläre Maßnahmen zu verschleiern. Wird etwa ein Betrieb „restrukturiert“, heißt das in der Praxis, dass massenhaft Arbeitskräfte „freigesetzt“ (= entlassen) werden. Mitunter werden sprachliche Beschönigungen aber auch zur Vermeidung von Peinlichem herangezogen. Wer seinen Klogang elegant umschreiben möchte, greift daher zu Ausdrücken wie „Ich geh jetzt sanitär entspannen“ oder „Ich besuche kurz die Keramik“.

Eine wahre Fundgrube für Euphemismen sind Reiseprospekte. Machen Sie die Probe aufs Exempel und buchen Sie ein Quartier, das im Katalog so beschrieben ist: „Familienfreundliches Hotel mit großzügiger Anlage in einem aufstrebenden Ferienort“. Im Klartext: Sie werden sich wie auf einem Kindergeburtstag fühlen, weite Fußwege in der Anlage zurücklegen sowie an allen Ecken und Enden von Baulärm umgeben sein. Wenn dann noch der Strand „naturbelassen“ (= vermüllt) und die Ausstattung „zweckmäßig“ (= spartanisch) ist, dann nützen auch die „Zimmer mit Aussicht auf Meer und WC“ (so der Werbetext eines italienischen Hotels) nichts mehr.

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Fundstück der Woche: „Eilsaufen für Schulklassen – Angebote 2023/’24“ (Betreffzeile eines Rundmails der Eishalle Reutlingen).

Ein Tippfehler, der bei Schülern große Erwartungen weckt.

 

Wolfram Kautzky ist Philologe und geht gerne den Wörtern auf den Grund.