Kolumnen

Wo man hinschaut, lauter Opfer

Beleidigtsein liegt im Trend, sich verletzt fühlen gehört zum guten Ton und wer heutzutage nicht Opfer von irgendwas ist, der hat wahrscheinlich den Anschluss verpasst. In Österreich, und zwar im Jahr 2021, wähnen sich manche gar als Opfer eines um sich greifenden „Faschismus“. Man hört’s und staunt.

Im Burgtheater spielen sie jetzt übrigens Schnitzler. Also, eine Schnitzler-„Überschreibung“ (der Regisseur, ein junger Engländer, meint, die Jungen verstünden keinen Original-Schnitzler). Konkret handelt es sich um eine „Überschreibung“ von Professor Bernhardi. In dem Stück geht es um einen jüdischen Arzt, der Opfer einer antisemitischen Hetzjagd wird. In der „Überschreibung“ ist der Bernhardi eine Frau. Im Radio sagte die Darstellerin über ihre Rolle: Sie wisse, wie es sich anfühle, wenn man „in eine Schublade gesteckt“ werde, denn sie sei blond und blauäugig. Tragisches Schicksal, in der Tat.

Das Gros des Redaktionskomitees wird trotzdem so bald wie möglich (Montag!) wieder ins Theater gehen. Leider spielen sie den tollen Bernhardi in der Josefstadt nicht mehr. (In der Hauptrolle war Herbert Föttinger zu sehen, ein Mann. Schublade? Mittelalt und weiß. Geht heutzutage eigentlich gar nicht mehr.)

Eher oldschool liest sich ja die Besetzung der aktuellen Inszenierung von Horváths Geschichten aus dem Wienerwald, ebenfalls in der Burg. (Das schreib ich jetzt nur, weil sich manche ärgern, wenn man nicht brav Burgtheater sagt). Der Fleischer Oskar wird darin von Nicholas Ofczarek gespielt und nicht von Mavie Hörbiger. Kann gut sein, dass wir uns das anschauen. (Obwohl, wenn ich es mir so recht überlege, hätte letztgenannte Variante auch ihren Charme.)

Bis dahin gedulden wir uns mit Youtube. Da findet man Maximilan Schells legendäre Horváth-Inszenierung mit Götz Kaufmann als Oskar und Helmut Qualtinger als Zauberkönig. Es war das Jahr 1979 und der Trend zum Beleidigtsein steckte noch in den Kinderschuhen.