Wiener Ansichten: Wir sind wieder die Dodeln
Von Barbara Beer
Man traut sich kaum, es zu sagen. Wie banal Sehnsüchte doch sein können.
Das Redaktionskomitee der Wiener Ansichten hatte in den vergangenen Wochen weder Sehnsucht nach Baumarkt, Ikea oder Extrem-Shopping von Hygieneprodukten.
Was wirklich schmerzlich gefehlt hat, war ein Schnitzel. Beim Stammwirten. Ich habe beide sehr, sehr vermisst. Freitagfrüh gab’s schon eine kleine Frühstücksvisite. Ich verrate es, ich spielte mit dem Gedanken, entgegen aller Empfehlungen einfach nicht zu reservieren. Mit welch geringem Aufwand man heutzutage schon Aufregung in sein Leben bringen kann!
Mit den Wirten wacht nun auch die Stadt wieder auf. Der Verkehrslärm, der ist allerdings längst putzmunter.
Es ist natürlich noch zu früh, Bilanz über die vergangene stillste Zeit des Jahres zu ziehen.
Trotzdem, die Ruhe und der flugzeuglose blaue Himmel werden fehlen. Die vielen Buntspechte, die sich vor dem Fenster herumtreiben. Die zunächst Fremden, die beim frühen Morgenlauf grüßen und bald keine Fremden mehr sind. Die kleine Frau, die schon um halb sieben Uhr früh rauchend mit ihren Hunden vorbei spaziert.
Vor allem aber wird das Gefühl fehlen, dass man als Fußgänger doch nicht der letzte Dodel ist. Nach der Zeit der Stille spürt man es umso deutlicher: Ein beträchtlicher Anteil dieser Stadt gehört den Autos, nämlich fast zwei Drittel des öffentlichen Raums. Die Diskussion um Parkraum und allein schon der Gedanke, diesen etwas zu reduzieren, löst bei vielen Wienern Hyperventilation aus. Fast so schlimm wie das Wort Radfahrer oder gar eigener Fahrradstreifen. Das war schon vor Corona so. Auch, dass die schwächeren Verkehrsteilnehmer, nämlich Radler und Fußgänger, sich vielerorts den begrenzten Raum teilen müssen, und es dadurch immer wieder zu Konflikten kommt.
Was jetzt besonders auffällt, ist, dass die Gehsteige auch für Fußgänger an vielen Stellen zu schmal sind. Abstand halten? Oft unmöglich.
Wir Fußgänger feiern jetzt großes Dodel-Comeback.