Kolumnen

Wie ein pickerter Knedl

Es gibt ein Foto von mir, auf dem sitze ich, ein knapp zweijähriges Kind, in einer mit Wasser gefüllten Schüssel und sehe unglücklich aus.  Auf dem Foto sieht man, dass ich versuche, in der Schüssel zu baden, aber mehr als den Popo bringe ich nicht unter Wasser.

Meine Großmutter wollte mir damals, es war ein heißer Sommer, die Möglichkeit zum Baden bieten. Aber das größte Gefäß, das sie fand, war eine alte Küchenschüssel. Ich bilde mir ein, mich erinnern zu können, wie beengt und deplatziert ich mich in der Schüssel fühlte, in der die Großmutter sonst ihre berühmten „pickerten Knedl“ in Tomatensoße auf den Tisch brachte. (Meine Großmutter war gebürtige Deutsche und sprach ein seltsames Gemisch aus deutsch ausgesprochenem Österreichisch und österreichisch ausgesprochenem Deutsch.)

Genauso fühle ich mich jetzt.

Beengt, deplatziert, wie ein pickerter Knedl.

Um diese Zeit im Jahr schreibe ich normalerweise die erste Kolumne aus dem Bad. Jetzt gehe ich schön langsam davon aus, dass dies der erste Sommer seit 48 Jahren wird, den ich nicht im Bad verbringe.

Das Bad ist alt, schäbig, es riecht, wie alle Bäder, nach Frittierfett,  Chlor und Tiroler Nussöl, das Wasser ist, wie in allen Bädern, meist viel zu kalt, manchmal auch zu warm, und spätestens ab August geht man nicht mehr so gern ins Becken, weil sich auf dem Wasser ein schmieriger Film gebildet hat. Aber ich liebe das Bad, denn dort bleibt die Zeit stehen. Der Bademeister trägt Glatze sowie Shorts und T-Shirt, aber sein Gesicht sieht noch genauso aus wie 1986, als er noch Minipli, Schnurrbart und Tanga trug. Die alte Frau, die sich nur von Zigaretten und Schaumrollen ernährt und deren Haut die Farbe einer auf dem Grill vergessenen Käsekrainer hat, die war damals  auch schon alt. Und das Klo war damals schon kaputt.

Ich würde gerne meine Oma fragen, ob sie die Schüssel noch hat, aber meine Oma lebt nicht mehr.