Wer einen Schuster hat, braucht keinen Therapeuten
Von Barbara Beer
Lukas Resetarits war jetzt im Radio. Anlass war sein 75. Geburtstag. Wobei es keinen Anlass braucht, um sich Lukas Resetarits anzuhören. Jedenfalls erzählte er in der Reihe „Menschenbilder“ (Sonntags, 14.05 Uhr auf Ö1, danach auf der Ö1-Seite abrufbar und immer empfehlenswert, nicht zuletzt dank der Erzählstimme von Sandra Kreisler. Das nächste Mal geht’s um den Musiker, Dichter, etc. Gerhard Bronner. Doch ich fürchte, ich schweife ab. Schade, hätte Ihnen gerne noch meine Gedanken zur Viennale, zum „Regietheater“ und zur „Kontextualisierung“ des Lueger-Denkmals mitgeteilt. Anderes Mal) – Resetarits also, geboren 1947, erzählte vom Aufwachsen zwischen Stinatz, Favoriten und Floridsdorf. Von einer Zeit, die sehr hart und in der zugleich vieles gut war. Etwa, dass es damals (mangels Alternativen) in vielen Familien üblich war, Maßschuhe zu tragen. Die dafür zehn Jahre hielten, dreimal gedoppelt.
Reparieren statt neu kaufen war früher weniger Lebenseinstellung als den Umständen geschuldet. Heute ist es umgekehrt. Reparieren wird immer aufwendiger.
Der Schuster in unserem Grätzel ist jetzt in Pension. Sein Sohn macht Schlüsseldienst only. Der Besuch beim Seniorchef war immer ein Abenteuer. Man kam wegen eines neuen Absatzes und ging um ein halbes Monatsgehalt erleichtert (ich übertreibe kaum).
Eine neue Sohle war nicht nur fast so kostspielig wie eine Autoreparatur, sondern auch so geheimnisbehaftet. Auch beim Automechaniker weiß man ja selbst nie, was alles unumgänglich ist. Der Schuster jedenfalls blickte den Schuh-Patienten stets mit bedauerndem Kopfschütteln an, seufzte leise, dann nickten wir gemeinsam stumm – ich hatte das Gefühl, das Richtige getan zu haben. Der Schuster war also auch Therapeut und daher sein Geld wert.
Jetzt gibt’s in meinem Bezirk nur noch einen Schuhmacher. Dass der sich so nennen darf, liegt einzig daran, dass das ein freies Gewerbe ist.
Wenn Sie einen guten Schuster wissen, sagen Sie’s mir. Ich zahle alles!