"ÜberLeben": Vortrag auf dem Friedhof
Von Guido Tartarotti
Mein Vater möchte auf dem Hernalser Friedhof spazieren gehen, also setzen meine Freundin und ich uns ins Auto und fahren nach Hernals.
Ich habe mich früher auf Friedhöfen immer sehr wohl gefühlt, es ist ruhig, es wachsen Bäume und ab und zu sieht man ein Eichhörnchen. Man kann sich die Grabsteine anschauen und die Namen darauf lesen und sich überlegen, wie die Menschen wohl gelebt haben, die hier liegen. Manche Grabsteine sind ganz schlicht, andere sind fast protzig. Wer im Leben reich war und teuer gelebt hat, möchte auch im Tod Reichtum zeigen – und teuer tot sein, denke ich mir.
Als ich ein Teenager war, bin ich oft auf Friedhöfe gegangen, um dort zu lesen. Oder um Gedichte zu schreiben. Die Gedichte waren, glaube ich, sehr schlecht, ich habe sie zum Glück verloren. Es waren trübsinnige Betrachtungen über das Leben und den Tod, wenn man sehr jung ist, flirtet man manchmal mit der Todessehnsucht, das tut nicht weh, denn der Tod ist weit weg.
Mittlerweile bin ich schon in einem Alter, in dem mir Friedhöfe unheimlich sind.
Wir fahren also nach Hernals und treffen dort meinen Vater. Der Hernalser Friedhof ist wunderschön, die Wege sind nicht geometrisch sauber angelegt, sondern gehen kreuz und quer durcheinander. Und natürlich beginnt mein Vater sofort, Vorträge zu halten.
Ich mag meinen Vater. Obwohl er im Inneren zur Melancholie neigt, gibt er sich immer lustig. Aber mit ihm spazieren zu gehen, ist nicht einfach, denn man kommt nicht zu Wort.
Mein Vater kann einen Vortrag mit der Familiengeschichte der Tartarottis im Mittelalter beginnen, dann thematisch zu einem Aufenthalt am Großglockner abbiegen und über viele, sich immer verwirrender verzweigende Themen schließlich bei der Korruption in der Politik ankommen.
Nach dem Spaziergang am Friedhof schwirrt mir der Kopf und ich brauche dringend: Ruhe.