Kolumnen

"ÜberLeben": Lesen und Wein

Unlängst habe ich das Buch „Der Pate“ von  Mario Puzo an einem Tag und in einer Nacht ausgelesen. 639 Seiten in einem Zug. Ich habe das Buch nur aus der Hand gelegt, um zu essen.

(Das Buch ist übrigens großartig. Wie der gleichnamige Film von Francis Ford Coppola erzählt es die Geschichte des jungen Michael Corleone, der anders sein will als seine Familie und doch nicht anders kann, als selbst ein Mafia-Chef zu werden.)

Wenn mich ein Buch fasziniert, kann ich es einfach nicht weglegen. Ich muss wissen, wie es weitergeht, selbst, wenn es längst tiefe Nacht ist. Schon als Schüler habe ich, das Buch versteckt unter der Bank, während des Unterrichts Thomas Bernhard und Hesse gelesen. Erwischt wurde ich nie.

Es macht mir nichts aus, in der Nacht zu lesen, statt zu schlafen. Ich bin gerne nachts wach. Ich liebe es, wenn es dunkel ist und alles still, nur von fern hört man das Surren der Autobahn. Ich kann in der Nacht gut denken und auch gut schreiben. Ich war immer schon ein Nachtmensch.  Leider sind Nachtmenschen in unserer Gesellschaft, in der frühes Aufstehen als Tugend gilt, nicht vorgesehen.

Am nächsten Vormittag sehe ich einen alten Mann auf einer Bank sitzen, neben ihm steht eine Flasche Wein. Er ist kein Sandler, er sieht nicht verwahrlost aus, nur alt und traurig, aber sehr freundlich.  Er trägt einen leichten Anzug und auf dem Kopf einen Hut. Ab und zu nimmt er einen tiefen Schluck aus der Weinflasche, sonst tut er nichts. Nur sitzen, schauen und trinken.

Einmal setzt sich jemand zu ihm auf die Bank, aber er spricht kein Wort, sein Blick geht ins Leere, als würde er dort etwas sehen, was außer ihm niemand sehen kann.

Ich frage mich, was der alte Mann erlebt hat, das ihn so traurig macht. Ist seine Frau gestorben? Haben ihn seine Kinder verlassen? Gibt es etwas, das er nicht vergessen kann? Leider schreibt niemand einen Roman über sein Leben. Ich würde ihn lesen.