Kolumnen

Wenn wir wegfahren, werden wir gescheiter

An Grenzübergang Attari (Indien)–Wagah (Pakistan), schenken einander die Soldaten traditionell jeden Tag Süßigkeiten. Sie wollen damit betonen, dass sie nicht nur Feinde, sondern historisch auch Brüder sind. Nur an wenigen Tagen in den vergangenen sieben Jahrzehnten, wenn der Konflikt wieder einmal eskalierte, haben sie diese Zuckerlgaben offiziell ausgesetzt.

Solche Geschichten liest man kaum wo, man erfährt sie im Gespräch mit einem Einheimischen, bei einem Masala Chai, oder wenn er sich gerade freut, weil er einem das „I love my India“-Kapperl zum vierfachen Preis angedreht hat (vier statt ein Euro). Dann erklären dir die Menschen gerne die Welt und ihr Land. Und das brauchen wir. Denn diese Welt war zwar nie einfach zu verstehen, aber derzeit ist es fast unmöglich. Neben den üblichen Langzeitkonflikten (die gerade auch wieder vermehrt eskalieren und zu Kriegen werden) tauchen Verstimmungen, Unruhen und Grausamkeiten auf, die uns gar nicht bewusst waren (Plünderungen und Dutzende Tote in Papua-Neuguinea, Port Moresby im Chaos, seien Sie ehrlich, keine Ahnung, oder?!). Man wird das Gefühl nicht los, dass die Welt brennt, wie sie lange nicht brannte, und das Gefühl ist richtig.

Damit man aber lernt, dass zum Beispiel Indien und Pakistan nicht nur Unfreundlichkeiten, sondern eben auch Zuckerl austauschen, muss man diese sonderliche Welt bereisen. Manches erfährt man nur vor Ort. Und da freut einen die Nachricht dieser Woche, wonach die Reisebranche jubelt, weil alle so gerne wegfahren. Nicht nur „wieder“ gerne wegfahren, sondern mittlerweile sogar noch lieber wegfahren als vor der Pandemie. Die hässlichen Jahre in der Geiselhaft des C.-Virus hat uns gezeigt, wie wichtig uns das ganze Wegfahren ist. (Apropos: Wenn Sie im Sommer ans Meer wollen, buchen Sie rasch, es ist wirklich schon abartig voll und teuer.)

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Nun führen natürlich die meisten der Urlaubsreisen (im Sommer 2023 unternahmen die Österreicherinnen und Österreicher unglaubliche 9,3 Millionen davon) an den Strand, ganz ohne Wissbegierde. Aber auch dort lernt man etwas, wenn der Barkeeper von seinem Leben zu erzählen beginnt.

Wir müssen nur zuhören.