Ciao, Cis-Sack!
Von Polly Adler
Dieser Tage muss man Dankesgebete sprechen, dass man kein „alter, weißer Cis-Sack“ ist. Tatsächlich erweist sich eine Existenz als weißer Mann von 45-plus inzwischen als ein Störfaktor auf zwei Beinen und niemand kann diesen soziologischen Typus von der kollektiven Verfluchung und schon gar nicht von seinen Erbsünden erlösen. Wo immer man diskutiert oder nur lauscht, fallen unter jungen Dynamo-Girls mit dezenten Nasen-Piercings, Sanskrit-Tattoos und Büchern von Sophie Passmann, bei glutenbefreiten Avocado-Toasts Sätze wie „Pfooh, so random, wie mir dieser gringe Cis-Idiot die Welt zu erklären versucht“ oder „Noch so ein Blick von diesem impotenten white dude da drüben und es setzt was.“ Ich bekenne: als alte, weiße Cis-Frau empfinde ich Mitleid für mein männliches Pendant, denn schließlich können die ja gar nichts dafür, dass sie keinen Migrationshintergrund haben, keiner exotischen Ethnie angehören, Gender-Fluidity für eine Gleitcreme halten und LGBTQ nicht ohne Gaumenzäpfchenprellung über die Lippen bringen. Und es benimmt sich auch nicht jeder von den „voll zu dissenden Cis-Säcken“ wie ein #Metoo-Borderliner, der gerade von der Liane geplumpst und der Überzeugung ist, dass er zwar nicht mit allen Mensch*innen schlafen kann, aber es zumindest versuchen möchte. Tatsächlich gibt es auch Frauen, die sich sauschlecht benehmen können. Nur hatten sie auf Grund von himmelschreiend ungerechter Macht-Verteilung bislang einfach viel weniger Gelegenheit dazu. Die weißen Hetero-Oldies brauchen dieser Tage viel Selbstironie. Ein fantastisches Beispiel dafür liefert Frédéric Beigbeder, mit seinen 56 ein Paradebeispiel eines vieil homme blanc (jede Menge Supermodels beglückt, Kokain von der Kühlerhaube geschnupft, diverse Gefängnisstrafen) in seinem jüngsten Roman. Sein Alter Ego Octave stöhnt: „Ich bin der letzte Vertreter einer ausgestorbenen Spezies: Ich bin der jämmerliche Aufreißer.“ Selbst-
geißelung hat durchaus Charme.