Paaradox: O solo mio!
Sie
Das mit dem Aufeinanderpicken während der Lockdowns haben wir bisher gut hingekriegt, waren wir uns in der Silvesternacht einig. Da hatten wir allerdings schon drei Flöten Mitternachts-Sprudel intus. Nüchtern betrachtet ist es ähnlich, dennoch entwickelt der Mann Anti-Symbiose-Bedürfnisse. Etwa nach einem allein allein sein, wie er es poetisch formuliert, dazu: Dackelblick. Einen Hauch weniger poetisch und ins Praktische übersetzt, bedeutet das nichts anderes als seine Flucht von meinem Radar. In eine Welt, in der ihn niemand beobachtet und Dinge, die er tut, kritisch hinterfragt. Oder süffisant anmerkt, dass es recht deppert ist, sich nach 24 Schokokeksen drei Käsekrainer in die Figur zu schieben. Wenn er über allein allein parliert, flackert’s in seinen Augen, die Vision des Hufnagl’schen Solo-Tanzes zeichnet sich ab. Von Binge-Serien-, Sportübertragungs- & Tschinbumm-Filme-Schauen an transfetten Snacks. Vielleicht schwingt auch die Idee einer Spielkonsole mit – so, wie man sich halt den klassischen Homo ludens um die 50 und in der Midlife-Crisis vorstellt.
Seltsame Energien
Ich habe dafür größtes Verständnis und ermögliche ihm an allein-allein-Zeit, was geht. Es reicht ihm aber nicht, dass ich mich ins letzte Eck des ehemaligen Kinderzimmers zum Lesen (aktuell: „Es ist nur eine Phase, Hase!“) verkrieche, weil ich aus seiner Sicht „energetisch immer noch da bin“. Huch! Idealerweise müsste ich mich entmaterialisieren oder so lange in eine Kiste sperren, bis er psychisch wieder bei Kräften ist. Ich könnte ihn womöglich dabei ertappen, wie er johlend Kasperl & Pezi schaut, um sich jung zu fühlen. Also gehe ich spazieren. Allein allein. Und während ich Bäume umarme und mit Steinen rede, erreichen mich Handy-Nachrichten vom Solisten nebenan, der die eine oder andere praktische Frage hat, die er allein allein leider nicht beantworten kann (Haben wir noch Kaffee zu Hause?). Dann lächle ich und denke mir: Wie schön, dass es mich gibt.
Er
Es begann – wie so oft – mit einem harmlosen Satz. Schau’ du nur deine Serie, ich gehe ein Buch lesen, sagte meine Frau. Draußen herrschte der Flockdown, und drinnen brannte das Feuer der Behaglichkeit. Man muss, dozierte die gute Gaby, einander in solchen Phasen auch Freiraum lassen. Ich nickte ergriffen, aktivierte meine Serie und konnte dann beinahe 23 Minuten ungestört bei einer exzellent inszenierten Weltrettung zusehen. Aber just während eines entscheidenden Schusswechsels endete mein Freiraum. Erst setzte gnä Kuhn den Wasserkocher in Betrieb, weil Buchlesen und Teetrinken offenbar ein unverzichtbares Entspannungsduo bilden. Leider erkennt sie das nicht bereits vor, sondern – Naturgesetz – immer erst nach Lektüreantritt. Das Problem: Der Wasserkocher simuliert laut-stärkenmäßig so eindrucksvoll den Start einer Rakete, dass ich zum Serien-Stopp gezwungen werde. Bald darauf saugt gnä Kuhn (eh nur kurz) Hundehaare weg, die ihr auf dem Rückweg zum Buch aufgefallen sind. Und wieder stopp.
StörfallIn der folgenden Stunde vermerke ich eine Brillensuche mit Selbstgespräch, ein Telefonat mit der Freundin (über den Nährwert von Buchweizen), sowie im 10-Minuten-Takt drei Fragen an mich. 1. Vom Lesestoff inspiriert: Wie schätzt du den Einfluss sozialer Medien auf die gesellschaftliche Spaltung ein? Ich: „Jetzt gerade null. Darf ich weiterschauen?“ 2. Wir brauchen Holz aus dem Keller. Ich: „Aber nicht sofort, oder?“ Sie: Naja (höfliche Variante von Ohjabittedoch). Und 3., mein Störfall-Favorit: Die Liebste geht durchs Zimmer, fixiert den Fernseher, hält während der vierten Folge der dritten Staffel gefühlte acht Sekunden inne und spricht dann: Wieso ist die Blonde dort gefangen? Da ich ihr aber keine gereizte Inhaltsangabe der letzten 23 Serien-Stunden geben will, murmle ich nur: „Manchmal wäre ich wirklich gerne alleine.“ Aha, ich verstehe, ruft sie dann. Beleidigt, weil sie es eben nicht versteht. Und ich öffne das Sportgummi-Sackerl. Justament.