Paaradox: Erziehungsmaßnahmen
Sie
In der Reihe „Seltsame Schlagzeilen“ stolperte ich unlängst über folgenden Titel: „Dressur-Weltcup: Diese Paare tanzten in Neumünster“. Bis ich kapiert habe, dass es sich nicht um einen Bewerb handelt, bei der ein dressierter Mann (oder: eine dressierte Frau) zeigt, was ihm/ihr während des täglichen, harten ehelichen Trainings beigebracht wurde, dauerte es einige Sekunden. Es ging um Pferde – und ja, da war ich dann doch erleichtert.
In ein Sackerl reden
Im Laufe unserer vielen gemeinsamen Jahre hatte ich aber immer wieder den Eindruck, dass der Mann gegenüber in Bezug auf mich die eine oder andere Dressur-Ambition hatte. Dass ich etwa endlich lerne, Unangenehmes nicht mit ihm zu besprechen, sondern einem Baum flüstere, den ich dann auch gleich umarmen darf. Oder es in ein Sackerl rede, das zügig im Sondermüll entsorgt werden muss. Das hat er so nie direkt „befohlen“, sondern mich eher mit subtil-raffinierten Erziehungsmaßnahmen formen wollen. Im Idealfall wäre aus mir das Sunnygirl unserer Beziehung geworden, das heiter kocht, fröhlich kichert und geschmeidig kooperiert. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Ich bin tendenziell störrisch, in der Disziplin „Unterordnen“ völlig talentbefreit, noch dazu mit ausgeprägtem Hang zum Debattieren. Das muss in den Genen sitzen, La Tochter ist mir ähnlich. Vor vielen Jahren hat sie ihrem Vater gegenüber felsenfest behauptet, Xavi würde NICHT!!! bei Barca spielen, sondern bei Real Madrid. Ausgerechnet. Die Diskussion ging Stunden dahin und endete mit einem väterlichen W. O. Es dauerte aber nur kurz, bis die junge Dame meinte: Oh, sorry, Papi, du hattest doch recht. Bussi. Da orte ich ebenfalls eine gewisse Ähnlichkeit, weil: Versöhnung kann ich! Ohne Dressur. Spätestens, wenn der Mann verzweifelt sagt Schau mich nicht in diesem Ton an, weiß ich, dass es Zeit für eine Umarmung ist. Danach kann man trotzdem noch ein bisserl debattieren.
Mail: gabriele.kuhn@kurier.at
Er
Manchmal setze ich mich auf den Boden, weil das verlässlich dafür sorgt, dass sich der Hund augenblicklich zu mir setzt – er schätzt Augenhöhe. Dann streichle ich ihn und sage bedeutungsschwer: „Gustav, wir Männer müssen zusammenhalten.“ Worauf er sich zu mir kuschelt, was ich als Akt völliger Zustimmung werte. Bis die Frauerl-Stimme in verlockender Tonlage erklingt: Gustiiii, schau’ mal, was da ist! Schon startet der Verräter pfitschipfeilmäßig Richtung Küche. Gelebte Solidarität sieht anders aus. Und mein seufzendes „Mit Mutter und Tochter kann man nicht diskutieren“ verpufft in Sekundenschnelle. Ich beneide Gustav. Ihm nämlich reicht Liebschauen, um (fast) alles zu bekommen und jede kleinste Differenz aus der Welt zu schaffen. Wenn ich hingegen lieb schaue, macht mich das eher verdächtig.
Selbstreflexion
Erkenntnis ist jedenfalls, dass man im Laufe einer langen Ehe die Eigenheiten des Gegenübers zwar genau kennt, die Bemühungen mancher Missionierung aber trotzdem nie ganz aufgibt. Meine Frau eröffnet in diesem Sinn Sätze gerne mit: Also ich würde ( … noch einmal ehrlich in mich hineinhorchen; … das Buch XY zu dem Thema lesen; … versuchen, in den Schuhen des anderen zu gehen). Und ich erwidere in geschmeidiger Kürze: „Aber du bist nicht ich.“ Das ordnet sie sofort in die Kategorie „mangelnde Selbstreflexion“ ein, was meistens sogar stimmt. Weil ich dazu neige, Debatten, die wir schon 73-mal mit dem jeweils selben Ergebnis geführt haben, beim 74. Mal zu einem schnelleren Ende bringen zu wollen. Das mag gnä Kuhn nicht sehr, weil sie dem Credo folgt: Man ist nie zu alt, um sich verändern. Das weiß ich natürlich, weshalb ich gelernt habe, viel öfter ein strategisch gut platziertes „Stimmt, da hast du absolut recht“ einzustreuen. Mit einem bisschen Glück lächelt meine Frau dann – und alles endet liebevoll versöhnlich. Nun kann ich mich der nächsten Mission widmen: „Gustav, hier! Wir müssen reden.“
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