Das Mathe-Paradoxon
Von Birgit Braunrath
Manche Menschen behaupten, sie hätten „mehr Talent für Sprachen“, um ihre Abwehrhaltung gegenüber der Mathematik zu rechtfertigen. In Wahrheit ist die Mathematik auch nur eine Sprache. Die Sprache der Natur.
Sie übersetzt die Beziehung der Begriffe zueinander. Unbestechlich, ohne Zwischentöne. Eine exakte Ausdrucksform, in der kein Raum für Affekt, Emotion, Empathie bleibt.
Der Beziehungsstatus zwischen reellen Zahlen und komplexen Zahlen zum Beispiel wird, unabhängig von Wetter, Jahreszeit und Tagesverfassung, immer derselbe sein: Jede reelle Zahl ist eine komplexe, aber nicht jede komplexe Zahl gehört zu den reellen Zahlen. So ist es definiert. Da gibt es keine Diskriminierung, kein Mobbing, keinen Gruppendruck. Eine Zahl ist eine Zahl ist eine Zahl. So emotionslos ist die Mathematik.
Aber irgendwann wurde aus dieser Wissenschaft, die keinen Spielraum für Emotionen vorsieht, ein Unterrichtsgegenstand, der mehr Emotionen auslöst als alle anderen Schulfächer zusammen. – Ein Paradoxon. Aber auch das ist ein gängiger Begriff in der Mathematik.