Im Kaffeehaus ist grundsätzlich mit allem und jedem zu rechnen
Jö schau. Als es am Ulrichsplatz noch das Café Nepomuk gab, sah ich dort einmal eine Frau, die etwas in ein Skizzenbuch zeichnete. Als ich an ihrem Tisch vorbeiging, schaute ich ihr über die Schulter und entdeckte, dass sie einen Männerakt in Arbeit hatte. Das hat mich insofern überrascht, als von einem entsprechenden Sujet natürlich keine Spur war.
Aber allein die Vorstellung, dass da ein nackter Mann im Café Modell stehen könnte, erinnerte mich unwillkürlich an den Gassenhauer „Jö schau“. Georg Danzers Nummer-1-Hit von 1975 – das erfolgreichste, wenn auch bei Weitem nicht beste Lied des begnadeten Liedermachers aus Gaudenzdorf – handelt davon, dass eines Tages ein nackter Mann das Café Hawelka betritt und dort zunächst für große Aufregung sorgt. Logisch, weil: „Was macht a Nackerter im Hawelka?“
Wer das Lied kennt, weiß, dass sich am Ende alles in Wohlgefallen auflöst: Dem Nackerten wird ausnahmsweise ein Tisch zugewiesen. Merke: „Ein Bohemienlokal pfeift auf Spießbürgermoral!“
Alles ist möglich. Das war, klar, satirisch gemeint. Auch heute noch, fast 50 Jahre nach „Jö schau“, würde ein Nackter im Kaffeehaus durchaus unangenehm auffallen – und das ist gut so. Wahr ist aber auch, dass man in einem Wiener Café grundsätzlich mit allem und jedem rechnen muss.
Das Kaffeehaus ist für alle da. Die Reichen und die Schönen sind hier ebenso willkommen wie die Hässlichen und die Gemeinen. Schwarze sitzen neben Roten, Grünen und sogar Blauen. Man muss nicht essen, man sollte sich zwar – siehe oben – irgendwas anziehen, aber es braucht nicht besonders elegant zu sein. Anzug und Krawatte sind genauso passend wie Blaumann oder die orange 48er-Kluft.
Georg Danzer ist viel zu früh gestorben, das Nepomuk gibt es auch nicht mehr. Aber jö, schau: Das Wiener Kaffeehaus ist immer noch ganz schön lebendig.