Kolumnen

Barbara Kaufmann: Hass ohne Scham

Hass ist keine Krankheit. Man kann zwar krankhaft hassen, man kann sich auch davon anstecken lassen, vom Hass der anderen, von der Wut und dem Zorn des Umfelds. Hass kann sich verbreiten wie ein Virus, kann Menschen infizieren, ihre Urteilskraft trüben. Er kann süchtig machen, das Denken bestimmen, in einen Rauschzustand versetzen wie eine Droge. Aber er kommt nicht aus dem Nichts wie ein Schicksalsschlag, dem man hilflos ausgeliefert ist, gegen den man sich nicht zur Wehr setzen kann.

Hass ist die Folge vieler Entscheidungen. Er entwickelt sich langsam, nährt sich aus Verachtung, aus der konstanten Abwertung anderer. Und er wächst, wenn er geschürt wird. Er senkt die Hemmschwelle, so weit, wie es gesellschaftlich akzeptiert wird.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Schusswaffen-Massaker in den USA warnte die Psychiaterin Amy Barnhorst von der Universität von Kalifornien in einem beachtenswerten Text davor, die Ursache für den Hass der Täter automatisch in einer psychischen Erkrankung zu suchen. Die Mehrzahl der Todesschützen hätten an keinerlei diagnostizierter Krankheit gelitten. Vielmehr hat sich ihre Verbitterung, ihre Wut angestaut, wurden aus persönlichen Kränkungen mit der Zeit grausame Rachefantasien, denen niemand Einhalt geboten hat. Im Gegenteil. In sogenannten Online-Hassgruppen wurden sie sogar noch verstärkt, befeuert, legitimiert. Wenn man diese Foren und Gruppen betritt, geschlossene digitale Räume, in denen man oftmals alles mitlesen kann, bietet sich einem ein erschreckendes Bild. Es macht etwas mit einem, je länger man die Beiträge liest. Es wird einem mulmig, man kann die Wut regelrecht spüren und die Gewalt in den Texten lässt einen frösteln. Es ist wie der Abgrund, in den man zu lange blickt und der dann irgendwann in einen schaut.

Kein Unterschied

Ob dort gegen Minderheiten oder Frauen gehetzt wird, gegen Arbeitslose oder Kranke, macht keinen Unterschied mehr. Es gibt kein Tabu, das nicht gebrochen wird. Alles scheint erlaubt. Mehr noch. Es herrscht ein regelrechter Wettbewerb um die größtmögliche Grausamkeit, das Erdenken der brutalsten Foltermethoden, die bestialischste Genozidfantasie.

Wer am radikalsten hasst, der wird belohnt. Durch digitales Schulterklopfen, Likes, Sterne, Herzen. Der Hassende wird nicht sozial geächtet, er wird bestärkt in seiner Unmenschlichkeit, ermutigt, geradezu bejubelt. Ein Belohnungssystem, das man mittlerweile auch in alltäglichen Debatten in Onlineforen von Tageszeitungen beobachten kann, auf Twitter oder Facebook, anonym und unter Klarnamen. Dort machen es immer öfter auch die Betreiber der Seiten von Spitzenpolitikern vor und ihre Anhänger nehmen den Ball gerne auf und spielen ihn mit Wucht zurück. Schaukeln sich auf, versuchen sich gegenseitig zu übertrumpfen, die Grenzen immer weiter zu überschreiten. Bis da der Abgrund ist. Es ist ein Hass ohne Scham.

Es ist an der Zeit, dass die Politik gegen ihn aufsteht. Da reichen keine Lippenbekenntnisse, da muss endlich Verantwortung übernommen werden, das Hetzen für den schnellen Klick ein Ende haben. Statt sich feige hinter der Meinungsfreiheit zu verstecken. Denn Hass ist keine Meinung. Er ist das Gift, das unsere Gesellschaft zersetzt.

barbara.kaufmann@kurier.at