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Zukunft, die wir vielleicht verhindern können

Anna Maria Krassnigg führt in beiden Stücke Regie und ist auch die künstlerische Leiterin des Festivals Bloody Crown. Jérôme Junod ist Dramaturg und Regie-Mitarbeiter.

Wie kam es zur Idee, gerade diese beiden Stücke auszuwählen und zu koppeln?
Krassnigg: Es war zuerst die Verführung des Raums. Die Kasematten sind Partner und solche muss man/will man, ernst nehmen. Da steckt man sehr viele Mühe hinein, das Richtige zu programmieren. Die Geschichte, aber auch die Energie und Atmosphäre dieser Räume – da landest du bald bei Königsdramen und da wiederum sehr schnell bei Shakespeare.

Aber weshalb gerade diese Auswahl?
Krassnigg: Ich mag gern Dinge machen, die man nicht überall sieht. „König Johann“ ist ein sehr frühes, selten gespieltes Stück von Shakespeare, das mit Friedrich Dürrenmatt einen sehr tollen Übersetzer und Interpreten gefunden hat. Noch dazu passt es sehr gut zu Wr. Neustadt, weil es geht um die Nachfolge-Ordnung Europas nach Richard Löwenherz, der ja nun der Gründer dieser Stadt und auch der Kasematten war.

Macbeth – da spielen wir nicht das Urstück, das ja viel programmiert wird, sondern die zeitgenössische Fassung, vielmehr den ganz eigenständigen Roman von Olga Flor in einer Bühnenfassung.
So haben wir zwei Shakespeare Urstoffe/, -Motive, einmal ganz zeitgenössisch neu.

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König Johann und Wr. Neustadt

Inwiefern hat König Johann mit Wiener Neustadt und seiner Gründung zu tun?
Junod: Richard Löwenherz war auf dem 2. Kreuzzug mit Leopold, dem V (5.) und Philipp von Frankreich im Heiligen Land. Dort zerstritten sie sich und nahmen unterschiedliche Wege zurück. Österreichs Leopold war schneller, der arme Richard Löwenherz hatte erst Schiffbruch im Mittelmeer erlitten, musste dann über Österreich zurückfahren. Er kam über Kärnten nach Wien wo er verhaftet wurde. Er war zwei Jahre Gefangener von Österreichs Babenberger Leopold, dann vom Kaiser in Dürnstein. Für ein Jahresgehalt von England – 3 ½ Tonnen Silber – wurde er von den Engländern freigekauft. Mit diesem Geld wurde u.a. Wr. Neustadt gegründet.Das wusstet ihr alles vorher oder war’s eine Art Zufallstreffer.
Krassnigg: Wir wollten jedenfalls Königsdramen machen, dann durchforstet und liest alles. Über die Suche nach einem selten gespielten Stück kamen wir auf „König Johann“ – auf den Zusammenhang mit Wr. Neustadt sind wir erst in der Recherche gestoßen, aber es ist das einzige Stück Shakespeares, in dem Österreich vorkommt, Leopold, der Österreicher.

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Neu-Ordnung

Wir haben es auch ausgewählt, weil es am Übergang vom Frühmittelalter zur Renaissance spielt, in der Zeit, in der Europa neu geordnet wurde. König Johann mit Beinamen „ohne Land“ ist ja der jüngere Bruder von Löwenherz. Da keilte er sich mit Frankreich um die Aufteilung der Ländereien.

Robin Hood-Ära

Johann ist übrigens dieselbe Figur wie der Gegenspieler von Robin Hood. Die berühmteste zeitgenössische Version ist übrigens Prinz John, den wir aus Disneys „König der Löwen“ kennen. Derselbe um den’s bei uns geht, auch wenn er immer wieder ganz anders gesehen werden kann.

Nochmal die Frage, war das alles Zufall oder schon so geplant?
Krassnigg: Wir haben den Ruf, Trüffelschweine zu sein. Wenn man lang genug wühlt in Geschichten, kommen neue Geschichten raus und es kommt etwas über Geschichte heraus. In diesen Räumen ist das besonders toll.
Und es ist ein Glücksfall ist, dass die Übersetzung von Dürrenmatt so großartig ist. Der hat das sprachlich kernig gefasst.

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Faszination Royals?

Großer Sprung: Was macht (noch immer) die Faszination von Königsgeschichten aus, nicht nur der Shakespear’schen Dramen, sondern auch aktuelle Storys wie Harry, Meghan usw. oder der TV-Serie „Wir sind Kaiser“, weshalb hängen viele Menschen so daran?
Krassnigg: Diese Frage macht ein weites Feld auf. Das Festival „Bloody Crown“ ist ja als langjähriger Zyklus geplant, weil das Thema so groß ist und wir mehrere Aspekte abdecken wollen.

Dazu kommt diese Neugierde auf aktuelle Royal - was machen die, dann Anhänger von Monarchien und auch Persiflage.

Aber auch ganze tolle Drehbücher der jüngsten vergangenen Jahre von englischen oder US-Serien verlaufen klar nach der Königsdramen-Dramaturgie: Es geht um Aufstieg und Fall von Macht und Mächtigen, rise and fall of power. Menschen sind interessiert, wie Macht entsteht, wie sich Mächtige bekämpfen, bekriegen, verraten, fallen, wieder aufstehen usw.
Game of Thrown, House of Cards, … Eine Familie, ein Imperium wird mächtig, es wird konstruiert, gebaut, es kommt sofort die Konkurrenz und es beginnt der Konflikt, der Krieg, Abfallen, untergehen …Seit der Antike sind Menschen daran interessiert. Spannend aber ist, dass es in jüngster Zeit wieder so eine Hochkonjunktur dabei gibt. Ich vermute, pessimistischerweise, weil wir mit neuen mittelalterlichen Strukturen zu tun haben. Wenn man sich die Herrschaften anschaut, die rundum regieren – im Nahen Osten, in den USA, in Europa, dann haben die was von Feudalherren. Das hat man glaub ich so vor 20 Jahren nicht gedacht.

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Faszination Dystopie

Ist das nicht doch seltsam in demokratischen Ländern?
Krassnigg: Sehr seltsam
Junod: Aber man darf nicht vergessen, dass Demokratie in der Geschichte der Menschheit immer noch eine Ausnahme gebildet hat und auch heute noch eine Ausnahme ist. Gerade in einer Zeit, in der Demokratie so wackelt, weil die Herausforderungen – Migration, Klima, und, und, und – größer werden, merken wir, dass wir gar nicht so weit entfernt sind von diesen monarchischen, royalen Systemen wie wir eigentlich seit der französischen Revolution geglaubt haben, dass wir sind.

Es ist schon auch, glaube ich, eine Faszination von dem was uns möglicherweise bevorstehen könnte.

Krassnigg: Aber wir merken auch - das zeigen die letzten Wahlergebnisse -, dass Einzelmenschen mit einem klaren Profil, mit einem starken Charisma, eher gewählt werden als komplexe Inhalte, die dialektisch verhandelt werden. Ich glaub, es ist etwas Tiefes in uns, das uns zu einfachen, klaren, starken Geschichten immer wieder hinzieht.
Diese Stücke transportieren aber auch die Botschaft, wie könnte es doch anders sein. Wie können wir wegkommen, von royalen, feudalen Strukturen. Wie kommen wir zu positiveren Ausblicken, zu einer Stärkung jener Elemente, die Demokratie wollen.

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Alternativen?

Aber wäre es dann nicht auch gut, Stücke zu bringen, die Alternativen aufzeigen?
Krassnigg: Es ist immer schwierig, wenn Theater pädagogisch sein will. Aber es kann versuchen, etwas aufzuzeigen. Ich denke mit dem deutschen Historiker und Schriftsteller Philipp Blom, dem Autor von „Was auf dem Spiel steht“ (2017): Es steht gerade ziemlich viel auf dem Spiel. Ich glaube, dass diese alten Geschichten und Mythen die Kraft haben, uns daran zu erinnern, dass wir doch gut beraten sind, wenn wir diese Geschichten im Rückblick betrachten und uns nicht davor fürchten müssen, dass das unsere nahe oder fernere Zukunft ist.

Tatsächlich gibt es aber einige Anzeichen dafür, sowohl auf politischen Ebenen als auch auf gesellschaftlichen strukturellen Ebenen auch in Firmen, Universitäten …, dass sich – Bertha von Suttner hat das den schwarzen Punkt genannt -, dass der Punkt der Diktatur, der Gewalt, des nicht-demokratischen Wegs leider durchaus eine negative Utopie, eine Dystopie sein könnte. In gewisser Weise, sind beide Stücke ein Hinweis auf eine Zukunft, die wir vielleicht verhindern können.

Junod: Es ist auch wichtig darauf hinzuweisen, dass das Festival nicht nur die Stücke zeigt, sondern auch Gespräche mit Expert_innen, an denen Publikum teilnehmen kann und soll, stattfinden. In denen geht es darum, was sind die Alternativen, wie gehen wir überhaupt damit um. Beim Festival als Ganzes geht es auch darum, Gegenentwürfe zu diskutieren und erforschen.

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