Wenn das Ankommen fast ärger ist ...
Von Heinz Wagner
Im Mai 1828 tauchte ein 16-Jähriger in Nürnberg auf, fragt nach der Neutorgasse und eine rasch bekannt werdende Geschichte beginnt. Er nennt sich Kaspar Hauser. Als Kind und Jugendlicher war er in einem Verlies eingesperrt. Nun muss er sich an die Welt da draußen, in Freiheit gewöhnen. Und diese Welt sich an ihn.
Vielsprachig
Wie vielleicht unverständlich das – für ihn – sein mag, demonstriert die Theatergruppe „Zenith Productions“ unter anderem damit, dass sie auf die Sprachenvielfalt der mitwirkenden Schauspieler_innen zurückgreift. Da werden Teile der Originalprotokolle auf Griechisch, Finnisch, Englisch, Türkisch und kaum weniger für ihn verständlich in Bürokratie-Deutsch zitiert. In die letztgenannte Sprache werden immer wieder Vokabel aus der aktuellen Version eingestreut.
Auf der – neu gestalteten – Bühne in einem der beiden Höfe des Wiener
Volkskundemuseums gibt es zum vierten Mal bis Mitte Juli (Kinder-)Theater. Nach DEM Loblieder der Fantasie „Der kleine Prinz“ (nach Antoine de Saint-Exupéry) und vielleicht DER Fabel über Korruption und Machmissbrauch „Reineke Fuchs“ (nach Johann Wolfgang Wolfgang Goethe) hat sich die Gruppe in diesem Jahr dem vielfach beschriebenen, interpretierten mysteriösen Schicksal des Burschen angenommen. Immer wieder wird er als sozusagen unter Verschluss gehaltener Sohn eines Fürsten oder anderen hochrangigen Herren ge„outet“, eigentlich als legitimer Erbe.
Diese Spekulationen interessieren die Theatermacher_innen nicht im geringsten.
Alle sind irgendwann Kaspar Hauser
Unter einem großen Sonnenschirm mit durchscheinenden Tüchern, die mal wie Teile einer Drehtür, dann wieder wie Fesseln für den Protagonisten – in dessen Rolle alle immer wieder wechselnd schlüpfen – entfaltet sich das Spiel des neu Ankommenden – mit den Fremdheiten auf beiden Seiten. Begleitet, untermalt mitunter sogar überlagert vom Musikduo (Anna Skrepek und Walter Nikowitz) auf Geige und Gitarre – die alte und neue Klassiker (von Maurice Ravel bis zu den Beatles) – live zum Besten geben.
Der „Neue“ wird beschult – muss, da hat sich vielfach leider nicht all zu viel verändert – still sitzen und sein. Und um die tiefschwarze Pädagogik plastisch zu schildern, greift die Theatergruppe zum Trick, Streiche und Szenen aus Heinrich Hoffmanns „Struwwelpeter“ und Wilhelm Buschs „Max & Moritz“ in die Schulszenen einzustreuen. Dazwischen blitzt immer wieder die unschuldige Naivität Kaspar Hausers auf, der zwar eingesperrt war, aber nichts anderes kannte und Machtspiele und Intrige, Bösartigkeit usw. nie kennen gelernt hat. Mit diesen und ähnlichen Erscheinungen kann er sich nicht zurechtfinden. Auch damit nicht, sozusagen als „Forschungsobjekt“ begutachtet und bestaunt zu werden. Fallweise befällt ihn sogar Sehnsucht nach dem Leben davor. Nach fünf Jahren fällt er einem mysteriösen Mord zum Opfer.
Eigene Erlebnisse
In einer Szene treten die Schauspieler_innen - Eri Bakali, Hanna Victoria Bauer, Deborah Gzesh, Tanju Kamer, Kari Rakkola – nah ans Publikum heran und aus ihren Rollen heraus und erzählen sozusagen eigene „Kaspar-Hauser“-Geschichten. Die reichen vom kasernierten Job als Zivildiener nach dem Schulabschluss bis zu diversen katastrophalen Erlebnissen als Migrant_in.
„Mich hat das Politische an der Geschichte interessiert“, sagt Regisseur – und Mitspieler – Kari Rakkola über die Auswahl des Stoffes für das diesjährige Sommerstück in einem der Höfe des Wiener Volkskundemuseums zum Kinder-KURIER. Dazu zählt er vor allem das Ankommen des jungen Mannes in einer ihm sehr fremden (Um-)Welt, konfrontiert mit bürokratischen Mechanismen und Begriffen – zitiert wird immer wieder aus den fast 200 Jahre alten Protokollen, in die heutiges Wording wie Rückführungsberatung, Anlandungszentren usw. eingestreut werden.
Infos: Was? Wer? Wann? Wo?
Kaspar Hauser
Ab 12 J.
Konzept und Regie: Kari Rakkola
Es spielen: Eri Bakali, Hanna Victoria Bauer, Deborah Gzesh, Tanju Kamer, Kari Rakkola
Musik: Walter Nikowitz und Anna Skrepek
Dramaturgie: Roland Bonimair
Regieassistenz: Anna Skrepek
Wann & wo?
Bis 15. Juli 2018
Volkskundemuseum
Wien / Gartenpalais Schönborn: 1080, Laudongasse 15-19
Infos: Telefon: 0677/614 05 081
www.facebook.com/zenithproductionsvienna