Zeiten der Not fördern Kreativität – erstes Online-Theater
Von Heinz Wagner
Die notwendige zwangsweise Sperre von u.a. Theatern hat viele Gruppen und Häuser veranlasst, professionelle Aufzeichnungen ins Netz zu stellen. Die Gruppe Nesterval, bekannt für sogenanntes „immersives“ Theater. „Eintauchen“ darf und muss das Publikum. Bisher an für Theater eher ungewöhnlichen Orten. Als absehbar war, dass – selbst bei erhofften Lockerungen nach Ostern – Theater oder größere Menschen-Ansammlungen nicht so bald möglich sein werden, baute die Gruppe ihr Stück um – und verlegt es ins Internet – nicht als Aufzeichnung oder Stream, sondern als gemeinsame Online-Präsenz von Darsteller_innen und Publikum. Premiere Mitte April.
Immer andere, für Theater neue Orte
Bisher hat die Gruppe die Performances, bei denen das Publikum nicht nur zuschaut, sondern mitspielt und zum Teil des Gesamtwerks wird, an verschiedensten Orten stattfinden lassen, etwa bei „Eine Sommernachts Matrix“ beim Schäxpir-Festival im Vorjahr im weitläufigen Garten der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz. „Das Festbankett“ an den letzten Tagen vor der Schließung des Wien Museums am Karlsplatz oder „Das Dorf“ in der Buschenschank Stift St. Peter in Wien Hernals – letzteres aber auch im finnischen Kuopio im Rahmen des ANTI – Contemporary Art Festivals.
Die jüngste Produktion, die Mitte April ihre analoge Premiere im brut-Studio (Zieglergasse) haben hätte sollen, wird nun in einen gemeinsamen virtuellen Raum verlegt (ZOOM), heißt „Kreisky-Test“. Es geht nicht um die gleichnamige Band, sondern den Politiker Bruno Kreisky, der vor 50 Jahren erster sozialdemokratischer Bundeskanzler Österreichs wurde (Wahlsieg 1. März, Regierungsantritt 21. April 1970).
Was waren/sind sozialdemokratische Werte?!
Sozialdemokratische Werte – was sind waren diese, was ist von ihnen geblieben, was sind die aktuellen – das interessierte die Gruppe, so Regisseur „Herr Finnland“ wie er sich stets nennt, im Gespräch mit dem (Kinder-)KURIER. „Vor allem ging es uns dabei um die Frauenfragen. Wir hatten dank der Kooperation mit dem brut, das an dem EU-Projekt „Be SpectACTive!“ beteiligt ist, auch Residences dazu in Serbien, Spanien und Italien und Gespräche mit Zeitzeuginnen. Daraus haben wir Szenen entwickelt, die von jeweils zwei Schauspieler_innen an diesen Orten gespielt und von unserem Filmer (Lorenz Tröbinger – echter Name) gedreht wurden. Die sollten schon bei der analogen Version gezeigt werden und sind natürlich auch jetzt in die Online-Version eingebaut.“
Frauenfrage
Bei den Recherchen kam das Kernteam drauf, trotz damals ganz unterschiedlicher politischer Systeme gab es in den nationalen Frauenbewegungen ähnliche Themen, die auf der Tagesordnung standen: Recht auf Schwangerschaftsabbruch, Scheidung, gleichberechtigte Mitbestimmung …
Frage an den Regisseur: Warum heißt das Stück dann nicht Dohnal-Test – nach der ersten Frauenministerin in Österreich (ab 1990, ab 1979 Staatssekretärin für allgemeine Frauenfragen)?
„Wenn eine Frau ruft, dann kommt niemand, außer vielleicht die Kinder(…) – das ist ein Zitat von Frau Löfberg, die das Buch fürs Stück geschrieben hat. Auch innerhalb der Sozialdemokratie mussten Frauen erst ihre Positionen er- und durchkämpfen“, so Herr Finnland. „Das war auch in den anderen Ländern nicht anders.“
Jugoslawien war blockfrei und von Kommunisten regiert, Tito ist vielleicht noch ein Begriff, in Spanien herrschte noch die faschistische Franco-Diktatur, Italien war regiert von Christdemokraten, die später im Korruptionssumpf untergegangen sind, es gab aber auch eine starke Linke, die auch in einigen Regionen an der Macht war.
Die Grundstory
Nach dem Tod seines Vaters macht sich Jonas Nesterval auf Spurensuche seiner Mutter Gertrud, die die Familie verlassen hatte, als er vier Jahre war. Eines Tages kriegt er eine Schachtel mit Unterlagen in die Hand, die Gertrud auf Reisen durch Europa gesammelt hat: Interviews und Filmmaterial von Aktivistinnen aus Serbien, Spanien und Italien. Jonas ist überzeugt, dass seine Mutter im Zentrum der österreichischen Geschichte stand und an einem revolutionären Projekt arbeitete. Und schließlich taucht auch noch das Herzstück ihrer Arbeit auf: der sogenannte Kreisky-Test. Der Test ist kein Wissens-Quiz, er beschäftigt sich damit, wie agiert eine Gemeinschaft/Gesellschaft, wenn Gefahr von außen droht.
Zurück zum Raum, der für die Nestervals immer wichtig war – und – auf andere Art und Weise – auch bleiben wird. Erstmals wollte die Gruppe in einem Theater spielen. „Dass wir groß und in verschiedensten Räumen können, das wussten wir und das Publikum. Diesmal wollten wir bewusst ins Kleine, ganz intime gehen. Wir hätten das brut-Studio in nochmals acht kleine Kammern unterteilt – immer zwei Zuschauer_innen und ein/E Künstler_in. Das Publikum wäre natürlich weiter gewandert, irgendwann wären auch die Zwischenwände weggenommen worden, so dass einander alle begegnen“, so Herr Finnland. „Wir stehen immer ja auch für Bewegung und Veränderung.“
Fast fertig, dann …
Das Stück war fertig geschrieben, dann kam Corona und der Tag, wo klar war, so bald gibt’s kein Theater. Der Regisseur schaute das Filmmaterial durch „und dann kam mir am Abend die Idee, verlegen wir das ganze ins Internet – gemeinsam mit der jeweils kleinen Publikumsgruppe. Die Bedrohung von außen ist ja auch so aktuell. Das brut ist auch sofort angesprungen auf die Idee und wir haben begonnen uns zu überlegen, wie das technisch machbar sein kann“, schildert Herr Finnland den Entscheidungsprozess des Umstiegs dieser Produktion von analog auf digital.
Fürs Publikum einfache Lösungen
Wichtig sei gewesen, „es muss für das Publikum alles ganz einfach gehen, es sollen sich ja alle auf das gemeinsame Spiel einlassen können, auf die Inhalte und Interaktionen und nicht durch technisches Zeug aufgehalten oder rausgebracht werden. Für uns als Team ist es im Hintergrund ein größerer Aufwand. Aber die Gäste sollen – auch das war wichtig – über eine kostenlose, leicht zu bekommende und bedienende Software „eintauchen“ können.“
Es würde zwar auch über Smartphones gehen, aber Laptop, Tablet oder PC werden empfohlen. Übrigens sitzen natürlich auch die Schauspieler_innen nicht gemeinsam im Theaterraum, sondern vereinzelt in ihren Wohnungen. „Sogar die, die Pärchen sind, agieren aus verschiedenen Räumen ihrer Wohnung“, so der Regisseur.
Testläufe
Testläufe sind und werden schon absolviert. „Auch für uns ist das alles neu, wir müssen und wollen lernen, haben aber auch unseren Spaß dabei. Und es entspricht ja dem Geist unserer Gruppe, dass wir immer wieder neue Formate ausprobieren, in Genres hin und her hüpfen, Neuland betreten uns jetzt eben mit der Frage beschäftigten, wie kann etwas aus realem Theaterleben auf ein Medium wie Internet transportiert werden. Zeiten der Not fördern unfreiwillig Kreativität.“
Das heißt aber nicht, dass künftig nur noch Online-Produktionen entwickelt werden, „allerdings können wir damit schon leichter auf „Tournee“ gehen, weil dann ja egal ist, wo die Leute mit einsteigen. Für das jetzige Stück haben sich schon Leute aus Hamburg angemeldet.“
Der Kreisky-Test
Koproduktion von Nesterval, brut Wien und Be SpectACTive!*
Regie Herr Finnland
Buch Frau Löfberg
Film Lorenz Tröbinger
Ensemble: Rita Brandneulinger, Gisa Fellerer, Julia Fuchs, Bernhard Hablé, Laura Hermann, Romy Hrubeš, Niklas-Sven Kerck, Lu Ki, Astôn Matters, Willy Mutzenpachner, Pamina Puls, Andy Reiter, Johannes Scheutz, Claudia Six, Alexandra Thompson, Lorenz Troebinger, Gankerl Walanka, Christopher Wurmdobler
Kostüm Andy Reiter
Produktionsleitung Pamina Pröglhöf
Produktion Willy Mutzenpachner
Übersetzung / wissenschaftliche Mitarbeit
Serbien: Marina Paspalj
Italien: Michaela Schmidlechner
Spanien: Cuqui Espinzoa
* Be SpectACTive! ist ein umfangreiches europäisches Kooperationsprojekt, das vom Programm Creative Europe der Europäischen Union kofinanziert wird und im Bereich darstellender Kunst in Form von künstlerischen Produktionen und partizipativen Praktiken tätig ist, mit dem Ziel, Bürger*innen und Zuschauer*innen in kreative und organisatorische Prozesse einzubeziehen. Mitglieder sind europäische Festivals, Theater, Kulturorganisationen, Universitäten und ein Forschungszentrum.
Wann & wo/wie?
15. bis 28. April 2020
Online via des gratis runterzuladenden (Conference-)Meeting-programms zoom.us
Pro Termin können maximal 16 Besucher_innen teilnehmen
Ticket-Vorverkauf ab 30. März 2020