Solistin spielt Hochschaubahn der Gefühle
Von Heinz Wagner
Ein grandioser Abend, 5/4 Stunden pure Emotion. Von der Alk-süchtigen ober-coolen, auf alles sch... Bitch über eine junge Frau, die plötzlich glaubt, die wahre, einzige Liebe entdeckt zu haben bis zur werdenden Mutter, die Stärke entwickelt, dann daran beinahe zerbricht, dass ihr Frühchen mangels medizinischer Betreuung zerbricht. Und zur Heldin wird, weil sie die diesem Schicksal zugrundeliegenden Einsparungen im System anprangert.
Das ist kürzest zusammengefasst der Abend, den Iris Schmid (30) in „Iphigenie in Wean“ als Effie das Publikum miterleben lässt – eine Hochschaubahn der Gefühle. Eben nicht nur zum Zuschauen, sondern förmlich miterleben.
Laufende Rollenwechsel
Breitbeinig à la Mansplainig-Plakat der Wiener Linien sitzt sie anfangs auf einer Bank und lackiert die Nägel – schwarz. Aufgetakelt, die Furchen der durchzechten Nächte überschminkt, wirft sie noch eine Pelz-Imitat-Jacke über, ein Täschchen und ab geht’s wieder auf die Piste. Saufen, saufen, die Welt nicht erleben wollen, aber sozusagen scheinbar positiv besetzt. Ich bin ein Star, aber bitte, bitte, holt mich ja nicht hier raus … vermittelt sie. Und spielt nicht nur auf der Bühne, spricht das Publikum und da immer wieder auch Einzelne an, nein eher geht sie sie aggressiv und doch begehrenswert an.
mmer wieder schlüpft sie fast ansatzlos und kürzestfristig in andere Rollen – von Menschen die ihr begegnen oder mit ihr zu tun haben, ihren Freund Kev(in), eine Mutter mit Kinderwagen auf der Straße und unterschiedlichste Typen. Praktisch immer von oben herab, demütigend vor allem mit mehr als einem Schuss Zynismus ist ihre Reaktion. Egal mit wem sie es zu tun hat.
Bis, ja bis sie eines Abends in einem Club jemand sieht der sie intensiv beobachtet und nicht wegsieht als sie ihn anstarrt. Hier beginnt sie aufzumachen. Mehr sei hier im Detail nicht gespoilert.
Gefühlsecht
Nur, dass dem sich Öffnen wie auch schon oben zusammengefasst, Hoffnung, Enttäuschung, Zerstörung, Trauer, Wut und letztlich aber Ansätze zur Auflehnung – samt fast unverständlichem Großmut – folgen. Genauso intensiv und miterlebbar wie die anfänglich immer wieder auch witzige überhebliche, dennoch anziehende, aber fast nicht auszuhaltende Säuferin lässt uns Iris Schmid die anderen Phasen erleben: Fast Mitheulen, wenn der Pulli in ihren Händen zum toten Frühchen wird.
Warum gibt sie's dem Typen von dem sie schwanger wurde und der sie verleugnet nicht? Fast nicht aushaltbar ihre Größe. Bis sie zur Widerständlerin – zumindest in Gedanken und Worten – wird. Heldin des Alttags, wie in anderer Weise auch er. Und nicht zuletzt jene Mutter, über die sie sich in der ersten Phase mehr als ungut lustig gemacht hatte.
Übersetzung eines englisches Originals
„Iphigenie in Wean“ ist eine adaptierte Übersetzung des Originals „Iphigenia in Splott, ins Deutsche und Wienerische übersetzt von Arabella Harrer, Cousine der Regisseurin dieses Stücks, Corinna Harrer.
Der walisische Theaterautor Gary Owen hat das Original vor vier Jahren veröffentlicht. Dabei hat er sich von Euripides' Iphigenie in Aulis, aber auch wie die Schauspielerin dem Kinder-KURIER erläutert, von Johann Wolfgang Goethes„Iphigenie auf Tauris“ inspirieren lassen. Der Kampf der Hauptfigur vor allem mit sich selbst oder der Anteile von Gut und Böse in ihr, wurde in eine heutige Figur übertragen. „Ein weiterer Schnittpunkt der beiden Figuren ist die Selbstaufopferung“, so Iris Schmid.
Iphigenie in Wean
Nach dem Original „Iphigenia in Splott“ von Gary Owen
Übersetzung: Arabella Harrer
IN Kooperation mit T21büne
ab 14 J., Dauer: 4800 Sekunden (= 80 Minuten) ohne Pause.
Regie: Corinna Harrer
Es spielt Iris Schmid
Produktions-Assistenz: Arabella Harrer, Roman Ullisch, Chiara Gartlacher
Wann & wo?
3. November 2020, 19.30 Uhr
Off-Theater: 1070, Kirchengasse 41
Tickets unter: iphigenie.wean@gmx.at
Telefon: 660/126 14 93
Mehr Infos: www.facebook.at/iphigenie.in.wean