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Schon als kleines Mädchen träumte sie vom Wetter-Ansagen

Es war einmal ein kleines Mädchen, das liebte es vor dem Spiegel der elterlichen – und geschwisterlichen (fünf davon hat sie) – zu spielen, sich mit ihm, ihrem Spiegelbild und all jenen Figuren zu unterhalten, in deren Rollen sie schlüpfte. Soweit noch nicht so besonders außergewöhnlich.

Allerdings hatte sie eine Rolle, die wahrscheinlich kaum ein anderes Kind erträumte. In ein unsichtbares Mikrophon sagte sie Sonnenschein, Regen oder anderes – je nachdem was sie sich vorstellte, welches Wetter am kommenden Tag vorherrschen würde oder sollte.

Wie das?

Nun, jeden Abend ab ½ 8 galt es für die Kinder ziemlich bis ganz ruhig zu sein. Die Eltern verfolgten die Nachrichten im Fernsehen. „Zeit im Bild“, so hießen die Hauptnachrichten auch vor Jahrzehnten schon - damals noch auf beiden ORF-Programmen (und das waren da noch die einzigen, die in heimischen TV-Geräten empfangen werden konnten) durchgeschaltet. Nach den Nachrichten aus aller Welt und Österreich kam die Wettervorhersage. Der Mann, oft in karierten Pullis, wusste so souverän zu sagen, wie’s wird, und einfach und kompetent verschiedenste Wetterphänomene zu erklären. Das beeindruckte und begeisterte die kleine Eser. Nachname Akbaba.

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Und siehe da!

Knapp mehr als zwei Jahrzehnte später stand sie an der Stelle ihres Kindheits-Heroes Carl Michael Belcredi und sagte erstmals selbst das Wetter an. Das macht sie seit gut einem Jahrzehnt. Kürzlich hat sie – gemeinsam mit einem ORF-Kollegen, Jürgen Pettinger, ein Buch darüber – aber über noch viel mehr aus ihrer Lebensgeschichte veröffentlicht – übrigens auch mit einigen witzigen Zeichnungen von Hüseyin Işık.

Der Titel „Sie şprechen ja Deutsch!“ lässt schon so manches anklingen was der 40-jährigen studierten Publizistin, Journalistin, Lehrerin, TV- und Veranstaltungs-Moderatorin (nicht zuletzt in den Anfangsjahren auch den mehrsprachigen Rede-Bewerb „SAG’S MULTI!) und beherzten Helferin so alles widerfahren ist und genau gar nichts mit ihren Fähig- und Fertigkeiten, sondern ausschließlich mit der Herkunft ihrer Familie zu tun hat.  Besser gesagt, pardon geschrieben, nicht damit, sondern mit viel zu häufigen Reaktionen hierzulande auf Herkunft und Sprachenvielfalt – wobei es hier noch dazu eine heftige Hierarchie in den Köpfen allzu vieler „Eingeborener“ oder einfach Generationen früher Zugewanderter gibt.

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Arbeiten ja, Gäste eher nicht

Der Untertitel des Buches „Traum und Wirklichkeit einer anatolischen Österreicherin“ gibt den Bogen an. Eser schildert, wie ihre Eltern als sogenannte „Gastarbeiter“ nach Österreich geholt wurden – aus Dersim, türkifiziert Tunceli. Erst der Vater, dann die Mutter, die nie eine Schule besuchen konnte. Die Familiensprache Zaza war wie die anderen kurdischen Sprachen aber auch Armenisch u.a. in der Türkei verboten. Selbst der Name, den die Eltern der jüngsten Tochter geben wollten, nämlich Rojda (aufgehender Tag) war nicht erlaubt. Und da 1979 die Familie noch die türkische Staatsbürgerschaft hatte, musste das neugeborene Kind bei der Botschaft angemeldet werden. Die den kurdischen Namen ablehnte.

Die ersten vier Kinder wuchsen noch in der Türkei auf, Eser, die Jüngste, wurde in Wien, ihr jüngster Bruder, Ismail – genannt Isi – in St. Pölten geboren. Der älteste Bruder, Özaydın („Ötschi“), in der Türkei noch ein Vorzugsschüler wurde in Österreich nur weil für ihn Deutsch natürlich eine Fremdsprache war, in die Sonderschule geschickt. Allen Widernissen zum Trotz machte auch er seinen Weg, ist erfolgreicher Schauspieler und Kabarettist (deutschsprachig!).

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Von Klein auf drei Sprachen

Eser, die mit Deutsch aufwuchs, Zaza, aber auch Türkisch nur im Familienalltag mitlernte, wurde schon als junges Kind zur Dolmetscherin und Checkerin für die ganze Familie wenn’s um Amtswege und –Telefonate ging. Erst recht als sie Frau Magistra war nachdem sie ihr Publizistik-Studium abgeschlossen hatte. Dabei studierte sie „nur“ neben Vollzeit-Jobs, um sich schon früh selbst erhalten zu können.

Das und vieles andere ist dem ca. 180-seitigen, leicht und flott zu lesenden Buch zu entnehmen. Aber noch viel mehr. Alle Kapitel werden von kurzen Auszügen (meist) bekannter Märchen eingeleitet, samt mancher Querverweise dazwischen. „Das war die Idee von meinem Kollegen, dem Jürgen“. „Nachdem ich in der Redaktion so manche meiner Episoden und Geschichten erzählt hatte, meinte er eines Tages: Mach doch ein Buch draus.“

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Kollege hatte Märchen-Idee

Das machte Eser Akbaba, schrieb die erzählten und so viele weitere Erlebnisse und Geschichte(rl)n auf. Die gab sie dem Kollegen zum Lesen und „dann hat er, als ich Familienfotos mitgebracht habe und er ein Bild von mir gesehen hat als ich drei Jahre war und in den Kindergarten gekommen bin (siehe hier in dieser Story) angeregt, märchenhafte Einstiege zu nehmen.“

Der ursprünglich oder auch immer noch Natur-Schwarz-Lockenkopf – seit der ORF-Zeit hell gefärbt – wählte Lieblingsmärchen aus, Pettinger schlug weitere vor und so finden sich im Buch nun ein Bogen von Lewis CarrollsAlice im Wunderland“ über „Schneewittchen“, „Die Prinzessin auf der Erbse“ (Gebrüder Grimm) bis zu „Ala ed-Din und die Wunderlampe“ (aus 1000 und eine Nacht) sowie „Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ und das weniger bekannte „Der Schatten“ (Hans Christian Andersen) spannt sich der Bogen.

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Alltagsrassismus

In dem Buch beschreibt die Autorin auch so manche Anfeindungen – von blöden bis niederträchtigen Bemerkungen (im Vorbeigehen bis in sozialen Netzwerken) bis zu demütigenden Handlungen (Rauswurf aus dem Gymnasium – über Hauptschule und ein anderes Gymnasium schaffte sie sehr wohl die Matura). Darunter auch jenen erstaunten Ausspruch eines Mannes, den sie letztlich zum Titel des Buches machte.

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Türkische Sprechblasen und Zitate

Und um doch auch eine weitere Sprache, die sie neben den erlernten Fremdsprachen in der Schule beherrscht, anklingen zu lassen, hat das s ein diakritisches Zeichen, das im Französischen Cedille genannt wird und ihm Türkisch aus dem s ein gesprochenes „sch“ macht – so wie wir‘s in Österreich eben (aus-)sprechen. Außerdem hat jede Kapitelüberschrift eine Sprechblase mit der türkischen Übersetzung und die Autorin hat im Text immer wieder Sprichwörter, Lebensweisheiten ihrer Eltern bzw. des Mystikers und Begründers des anatolischen Alevitentums Hacı Bekta Veli, auf Türkisch –natürlich samt deutscher Übersetzung - eingebaut, etwa: „Kadınlarınızı okutunuz, kadınları okumayan millet yükselemez.“/ „Ermöglicht den Frauen eine gute Bildung, denn eine Gesellschaft, die das verhindert, kann sich nicht erheben.“

Was passt besser zum bevorstehenden internationalen Frauentag am 8. März als dieses Zitat und die starke Person, die das Buch geschrieben hat.

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Eser Akbaba, Jürgen Pettinger (Text)
Hüseyin Işık (Illustrationen)
Sie şprechen ja Deutsch!
Traum und Wirklichkeit einer anatolischen Österreicherin
Ca. 180 Seiten
Gebundene Ausgabe: 22 €
eBook: 16,90 €
Verlag Kremayr & Scheriau

Kremayr-Scheriau.at

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Im schauTV-Talk

Zum Auftakt einer Woche mit Sendungen zum Schwerpunkt Frauen vor dem internationalen Frauentag (8. März) ist Eser Akbaba im Talk zu sehen (Montag, 2. März 2020). Hier unten das Video.

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