Lässt sich Liebe lernen und wenn ja, wie?
Von Heinz Wagner
Für das meiste Aufsehen, stärkste emotionale Äußerungen des jungen Publikums (10 bis 13 Jahre) sorgt einer der längsten und sicher der akrobatischste Kuss, der je auf einer Bühne zu sehen war/ist. Nora Vonder Mühll und Ives Thuwis tanzen während des einstündigen Stücks „Liebe üben“ turnerisch um- und übereinander - stehend, sitzend, liegend - und bleiben dabei minutenlang (mindestens drei, gefühlt sicher gut das Doppelte) mit ihren Lippen, meistens auch ausschließlich mit diesen, verbunden. Da können sich all jene Filmküsse, die bei den jährlich seit 1992 vergebenen MTV-Awards für die besten Küsse in großen Kinofilmen ausgezeichnet werden, verstecken.
Die Reaktionen der jungen Jugendlichen setzten sich aus einer Mischung aus Erstaunen, Verwirrung hin- und her-gerissen-Sein zwischen Bewunderung und peinlicher Berührung mit einem Schuss Ablehnung zusammen.
Körperliches Theater
Das Stück spannt einen Bogen von einem ersten Aufeinandertreffen bis zur Trennung am Schluss (Regie: Hannah Biedermann). Das Duo kommt mit relativ wenigen Worten aus, gespielt wird vor allem sehr körperlich - die Kuss-Szene ist vielleicht ein Höhepunkt dessen. Besonders eindrücklich sind die tänzerischen Bewegungen - vom ganzen Körper bis zur Mimik - rund um die Annäherung. Rasch scheint ein gegenseitiges Angezogen-Sein da, aber auch große Behutsamkeit und Vorsicht.
Witzige eingesetzte Requisiten
Immer wieder witzig agieren die beiden auch mit den wenigen Requisiten, so werden zwei Stöckelschuhe zu Handys, einer der beiden roten Klappsessel wird zum Riesen-Telefon und das Brautkleid trägt einmal sie, einmal er, wobei sie viel wilder im bodenlangen Kleid tanzt als er. Das Kleid wird übrigens irgendwann, kunstfertig zusammengelegt, zu einem Baby im Wickelpolster.
Beide zeigen unterschiedliche Charaktere in ihrem Aufeinandertreffen, während er bewusst geheiratet hat und glücklich damit ist, bleibt sie eine Suchende. So wie beide üben müssen/wollen, Liebe zu erleben, zu erfahren, so scheinen sie auch das Ende, die Trennung üben zu müssen - vom heftigen Aus bis zur Verabschiedung „Sorry, LG“ via SMS.
Lange Entwicklungsgeschichte
Schon vor vier Jahren, so die beiden Bühnenkünstler_innen, die dieses Tanztheaterstück auch ersonnen hatten, begannen sie Kinder und junge Jugendliche zum Thema Liebe samt Vorstellungen darüber für die Zeit wenn sie erwachsen sind, zu befragen. Das taten sie mit Schulklassen in Zürich (Schweiz), Liechtenstein und Düsseldorf (Deutschland). So manche der Originaltöne aus den Interviews werden im Stück eingespielt, andere von Nora und Ives zitiert. Im Publikumsgespräch nach der Premiere (übrigens am Internationalen Welttag des Theaters für junges Publikum) erzählten die beiden, dass sie jedes Mal sofort eine große Offen- und Verbundenheit mit den jungen Leuten spürten.
Was bewegt
In einem Interview für das Magazin des Theaters am Kirchplatz in Schaan (Liechtenstein) sagte Ives Thuwis, der seit Jahrzehnten als Tänzer und Choreograf viel mit Jugendlichen arbeitet: „Ich mag sehr das Rohe, das Unvermittelte bei jungen Menschen, Sachen sind wie sie sind und haben eine große Dringlichkeit, weil es nur das ist, was es in dem Moment gibt. Performer bekommen oft als Anweisung, sie sollen „im Moment“ sein, Jugendliche sind im Moment.“ Viel von dieser Haltung haben er und Nora Vonder Mühll sich von Jugendlichen abgeschaut, ge- und erlernt und bringen diese Unmittelbarkeit auf die Bühne.
Pina Bausch, eine der wichtigsten Choreografinnen modernen Tanztheaters) meinte immer wieder: „Es interessiert mich weniger, wie ein Tänzer/eine Tänzerin sich bewegt, sondern was eine/n bewegt“.
Infos: Was? Wer? Wann? Wo?
Liebe üben
Theaters Sgaramusch in Koproduktion mit dem Tanzhaus Zürich, dem FFT Düsseldorf, dem TAK Theater Liechtenstein und dem Kulturbüro Friedrichshafen
Vonder Mühll / Thuwis / Biedermann
Dokumentarisches Tanztheater
Ab 10 J., eine Stunde
Regie: Hannah Biedermann
Konzept, Performance: Nora Vonder Mühll, Ives Thuwis
Ausstattung: Ria Papadopoulou
Lichtkonzept: Bene Neuhaus
Produktionsleitung: Cornelia Wolf, Stefan Colombo
Das Recherchematerial stammt von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Zürich, Schaffhausen, Feldkirch, Ruggell, Schaan und Düsseldorf sowie den Künstler*innen Salome Schneebeli, Frederike Dengler, Corsin Gaudenz, Tina Beyeler, Brigitte Walk, Arno Oehri, Sabeth Dannenberg, Martin Nachbar und Morgan Nardi.
Wann & wo?
Bis 23. März 2019
Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: (01) 522 07 20-20
www.dschunglwien.at