„Kunststoff“ spielt, tanzt, musiziert über „Plastik im Blut“
Von Heinz Wagner
Fische, die mitunter sogar mehr Plastik verschluckt haben als die Verpackung rund um sie beim Kauf ausmacht. Mit dem Essen solcher Meerestiere gelangt Mikroplastik auch in den menschlichen Körper. „Plastik im Blut“ heißt eine Performance von „kollektiv kunststoff“, die am Freitag, dem 13. März Premiere haben sollte. Abgesagt, um die Corona-Ausbreitung einzudämmen.
Am Tag danach gab’s im Dschungel Wien – mit ganz wenigen Zuschauer_innen mit jeweils großem Abstand – eine beschränkt-öffentliche Vorpremiere. Das Stück war klarerweise schon fertig, für die Aufführungsserie Anfang Juni ist doch zu hoffen, dass öffentliches Leben wieder möglich ist.
Ohne Plastik?
An Handlungsfaden zieht sich die Schilderung eines Versuchs, drei Tage ganz ohne Plastik auszukommen. Die rund 50-minütige Performance (ab 10 Jahren) ist ein Mix, ein Ineinandergreifen und Verknüpfen von Schauspiel & Tanz (Raffaela Gras und Stefanie Sternig), Live-Musik (E-Gitarre und digital: Peter Plos aka Palme) und Beatboxing (die Weltmeisterschafts-Dritten Mouth-o-Matic: Eon, Slizzer, Geo Popoff alias Elias Nasari, Tim Schleiser und Georg Haselböck). Letztere bringen aber nicht nur ihre mundmusikalische Bandbreite fast sämtlicher Stile- und -richtungen zu Gehör, sondern agieren auch schauspielerisch.
Das Experiment – drei Tage ohne Plastik – natürlich im Zeitraffer erzählt - scheitert schon daran, dass der Boden aus Kunststoff ist. Was also tun nach dem Aufstehen? Einen solchen Untergrund zu „überwinden“ wird zu einer Kombi aus Tanz und Akrobatik – eine nicht nur in dieser Szene gezeigte Methode.
Symbolhafte Darstellung
Natürlich stellt sich bald heraus, es braucht doch Ausnahmen, um durch den Alltag zu kommen. Aber wenigstens Denkanstöße will die Gruppe mit ihrer Performance vermitteln, die nach kurzen atmosphärischem Vogelgezwitscher und leisen Tönen mit fetziger Musik und zum Mitmachen motivierenden Songs der drei Beatboxer beginnt. Manchmal wirkt das Anliegen ein bisschen zu lehrhaft.
Mit Plastik, aber …
Plastik ist aber nicht nur das Thema. Aus Kunststoff sind viele der Requisiten, Kostümteile und vor allem auch die zentrale riesige Plane. Diese überspannt anfangs fast die gesamte Bühne sozusagen wie ein Himmel. Sie wird später immer weiter runtergelassen womit sie den Spielraum der Agierenden darunter stetig mehr und mehr einengt. Bis die Mitwirkenden auf der Bühne nur mehr über wenige Schlitze in der Plane Kopf, Hände oder Füße - immer nur jeweils den einen oder anderen Körperteil - zum Vorschein bringen können.
Wie zu erwarten kommt irgendwann die Rede auf die mittlerweile weltberühmte große Plastikmüll-Insel (The Great Pacific Garbage Patch, 20 Mal so groß wie Österreich oder mehr als 250 Millionen Fußballfelder). Vielmehr mittlerweile mehrerer solcher in den Weltmeeren. Die bilden aufgrund der Meeresströmungen große Wirbel. Das wird „plastisch“ dargestellt, indem eine der Performerinnen in der Mitte der großen Plane stehend, von den anderen, die an den Ecken ziehen, umhergewirbelt wird - bis sie in der Kunststoff-Folie völlig eingewickelt ist.
… Reste bzw. Recycling-Material
Die Plastikelemente, die in der Performance verwendet werden, sind aus Kunststoffen, die schon recycelt wurden oder aus Restmaterialien wie beispielsweise kaputten Zelten. „Die große Plane (von der oben die Schreibe ist) wurde gekauft, da sie den veranstaltungsgesetzlichen Regelungen entsprechen muss. Die Plane werden wir am Ende zu Taschen verarbeiten, um diese nochmals neu aufzuwerten und um ihren Kreislauf bewusst zu verlängern“, heißt es im Programmzettel von „kollektiv kunststoff“ – dessen Name bei dieser Produktion über die ursprünglich „nur“ auf Kunst bezogene Bedeutung hinausgeht.
Corona, aber …
Auch wenn derzeit von der aktuellen Virus-Welle überdeckt, sind andere – auch weltweite - Krisen nicht verschwunden. Vor manchen verschließen die meisten - trotz drastischer Bilder und Berichte – die Augen, Ohren und Herzen – Stichwort Moria, das elendigliche Flüchtlingscamp auf der griechischen Insel Lesbos. Eine andere Krise, vor der Wissenschafter_innen seit Jahrzehnten warnen, wurde vor allem erst durch das Engagement Jugendlicher im vergangenen Jahr in der Öffentlichkeit massiv bewusst: Klimaerwärmung sowie Umweltverschmutzung.
Vielleicht könnte in Sachen wichtiger, dringender Maßnahmen gegen die Zerstörung des Planeten wenigstens ein bisschen Anleihe bei der Krankheitskrise genommen werden: Rasch zu handeln und nötiges Geld locker zu machen.
Plastik im Blut
kollektiv kunststoff
Performance/Beatboxing
Ab 10 J., 50 Minuten
Konzept, Choreografie & Performance: Stefanie Sternig
Choreografische Mitarbeit & Performance: Raffaela Gras, Stefanie Sternig, Beatbox-Kollektiv „Mouth-O-Matic“ (Eon, Slizzer, Geo Popoff alias Elias Nasari, Tim Schleiser und Georg Haselböck)
Komposition, Sound: Peter Plos
Bühne, Kostüm: Sophie Baumgartner, Jo Plos
Dramaturgische Beratung: Leonie Humitsch
Wann & wo?
3. bis 10. Juni 2020
Dschungel Wien: 1070, MuseumsQuartier
Telefon: (01) 522 07 20-20
Dschungelwien -> Plastik im Blut
Filmtipps aus dem pädagogischen Begleitmaterial des Dschungel Wien zu „Plastik im Blut“
Mikroplastik im Meer (ca. 50 min)
Arte-Doku
Plastik: Der Fluch der Meere (ca. 50 min)
Plastik überall - Geschichte vom Müll (ca. 1 ½ Stunden)
Arte-Doku
Plastic Planet
Trailer zum Film von Werner Boote