Berührende, doch nie erdrückende „Poetische Reise“
Von Heinz Wagner
„Vom Ende her – und auf das Ende hin“ – diese beiden Satzteile, bilden die Klammer der Szenen und Musikstücke von „Stammbuch 1938 – Nachrichten aus der Barbarei“. Die Gruppe Zenith Productions erinnert damit rund um den Jahrestag an die verharmlosend als „Reichskristallnacht“ bezeichneten Pogrome an jüdischen Mitbürger_innen.
Die rund einstündige Mahnung in den Festsälen einiger Amtshäuser und im Volkskundemuseum wird von vier Schauspieler_innen ( Hanna Victoria Bauer, Deborah Gzesh/auch Gesang, Jakob Oberschlick, Kari Rakkola) – phasenweise auch mit zwei Stoffpuppen - und einem Musik-Duo (Walter Nikowitz/Gitarre, Martina Cizek/Saxophon) gespielt. Es handelt sich um szenische Collagen in vier Stationen. Die Texte stammen von den bekannten Autor_innen Ilse Aichinger, Erich Kästner, Frederic Morton, Ruth Winkelmann und Wolfgang Borchert. In Szene 2, einer Lesung, werden – brutal, weil einfach wahr – die von den Nazis erlassenen Ge- und Verbote für Jüd_innen portionsweise verlesen.
Fakten
Allein in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 waren in Wien 27 Jüd_innen ermordet, 88 schwer verletzt und misshandelt, 6547 verhaftet, vier Dutzend Synagogen und Bethäuser angezündet und mehr als 4000 Geschäfte zerstört und geplündert worden (laut Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien). Diese Fakten vermittelt der Programfolder. Die szenischen Collagen, von der Gruppe „poetische Reise“ genannt versuchen die Gefühle, die Stimmungen von vor 80 Jahren zu vermitteln. Zu Beginn hören wir den von einem Aichinger-Text inspirierten Dialog zweier Kinder wie sie im Amt für Ausreise-Visa hingehalten werden. Hier tauchen im Kopf Parallelen auf zu Schilderungen, wie Menschen, die heute um Asyl ansuchen beamtshandelt werden. Davor schon schreiben die „Eltern“ der beiden einander mit der Hand in den Rücken die eingangs zitierten Satzteile.
Eindringlich, doch nie pathetisch
Jede Station – mit kleinen Ortswechseln dazwischen – geht gegen Ende in ein Musikstück über. Davon sind drei jüdische Lieder: „Unter dayne vayse Shtern“ und „Mir lebn ejbig“ (Theatergruppe im Wilnaer Ghetto) und „Ikh steh unter a bokserboym“ (Vertonung eines Textes der sowjetjüdischen Dichterin Zhame Telesin). Dazu kommt noch „The Ballad of the Soldier’s Wife“ von Kurt Weill und Bertolt Brecht.
Das Stück, dessen szenisches Schnipsel an unterschiedliche Einträge in einem Stammbuch erinnern sollen, ist eine dichte Stunde, eindringlich, doch nie pathetisch, berührend aber nie erdrückend gespielt – mit der Hoffnung aufs Weiterwirken in den Köpfen des Publikums. Nie wird per Zeigefinger gemahnt, doch die Schlussfolgerungen für ein „Wehret den Anfängen“ ergeben sich wie von selbst. Hoffentlich!
Infos: Was? Wer? Wann? Wo?
Stammbuch 1938 – Nachrichten aus der Barbarei
Zenith Productions für Theater und Musik in Kooperation mit dem Volkskundemuseum Wien und freundlicher Unterstützung des Kulturvereins Spittelberg im Amerlinghaus
Konzept & Regie: Kari Rakkola
Schauspieler_innen:
Hanna Victoria Bauer, Deborah Gzesh,
Jakob Oberschlick, Kari Rakkola
Ton, Musik: Walter Nikowitz, Martina Cizek
Wann & wo?
* Volkskundemuseum Wien: 1080 Wien, Laudongasse 15-19
Dienstag, 6. November 2018, ca. 21.00 Uhr, im Anschluss an die Eröffnung der Ausstellung „Das Herz so schwer wie Blei - Kunst und Widerstand im Ghetto Theresienstadt“
Mittwoch, 7. November, 20 Uhr
13./14. November 2018, jeweils 20 Uhr
Amtshaus für den 2. Bezirk: 1020 Wien, Karmelitergasse 9
Freitag, 9. November 2018, 19 Uhr
Amtshaus für den 5. Bezirk: 1050 Wien, Schönbrunner Straße 54
Montag, 12. November 2018, 19 Uhr
Kulturtankstelle: 1160, Grundsteingasse 45
Donnerstag, 15. November 2018, 20 Uhr
Eintritt: freiwillige Spende
Infos: https://www.facebook.com/zenithproductionsvienna/