Parteien in Dating-Laune
es gibt noch keine neue Regierung, aber dafür schon ein geschichtsträchtiges Selfie. Wenige Tage nach der Bundestagswahl posteten die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck, FDP-Chef Christian Lindner und FDP-Generalsekretär Volker Wissing ein Foto von gemeinsamen Gesprächen. Die Botschaft: Ohne uns geht nichts. Klar, die SPD landete auf Platz eins, aber ohne die zwei kleinen Parteien wird Olaf Scholz nicht Kanzler werden können. Denn die andere Alternative – eine Große Koalition mit der Union eingehen – will eigentlich keiner. Aus den Reihen von CDU/CSU, die bei dieser Wahl viele Federn lassen mussten, hörte man vorab: Wie wollen „kein Juniorpartner“ sein. Jetzt hat sich also eine Gruppe zusammengetan, die es allen beweisen will.
Auf das Selfie folgte am Freitag der erste Auftritt. Kurz nach Mittag marschierten Baerbock, Habeck und Lindner vor die Türen eines schicken Büroturms - eine Art Premium-Co-Working-Space. Ein Ort, der nicht zufällig gewählt wurde: Die Botschaft: Hier passiert Aufbruch, wir sind die Visionäre.
2017 soll sich nicht wiederholen
„Warten wir mal ab wie lange sie das durchziehen, ehe dann wieder alle in einem schnöden Gebäude wie der Parlamentarischen Gesellschaft landen“, lästerte eine Kollegin. Ja, in dem „schnöden Gebäude“ mitten im Regierungsviertel sondierten 2017 Union, FDP und Grüne für das „Jamaika-Bündnis“.
Legendär sind die Fotos vom Balkon, wo sich die Möchtegern-Regierenden für die Presse blicken ließen. Genauso legendär ist die Szene von Christian Lindner, der nach Wochen vor die Türe ging und den Abbruch der Gespräche verkündete. 2017 soll sich nicht mehr wiederholen, erklärte uns Annalena Baerbock gestern.
Das heißt auch: Es dürfen keine Informationen aus den vertraulichen Gesprächen nach außen dringen. Danach gefragt, ob sie denn zumindest ein bisschen was zu den Themen sagen kann, welche zuerst angegangen werden, kam eine Abfuhr. Sie wolle dazu genauso wenig sagen, wie zu der Frage, ob’s denn Wurst oder Käse auf den Brötchen gab. Ich vermute: beides. Schließlich wolle man ja Brücken bauen und Trennendes überwinden, ergänzte Lindner später und nannte zwei schwierige Themen: Finanzen und Klimaschutz.
Kein Speeddating
Während man auf dieser Seite Berlins versucht, einen grün-gelben Pakt zu schmieden, ist wenige Kilometer entfernt einiges im Gange: CDU-Chef Armin Laschet will sich mit aller Kraft im Spiel halten, ungeachtet der vielen Forderungen nach Erneuerung und Rücktritt. Der Mann, der bisher einen Ruf als Mann der Mitte und Integrierer hatte, wirkt gerade ein bisschen entrückt. Er hofft, sich noch irgendwie ins Kanzleramt retten zu können und bot ebenfalls Sondierungsgespräche an.
Die FDP hat angenommen und will mit CDU/CSU schon diesen Sonntag reden, die Grünen werden es am Dienstag tun. Dazwischen folgt noch ein Treffen mit der SPD – klingt alles ein bisschen nach Speeddating. Aber, glauben Sie mir, so schnell wird das nicht klappen. Bis sich die Limetten-Fraktion zu den ersten Koalitionsverhandlungen entschließt (sie muss zwischen Union und SPD wählen), kann noch viel passieren – vor allem in der CDU, wo sich viele fragen: Wie lange kann sich Armin Laschet halten?
Und was macht das für ein Bild, wenn Grüne und FDP, die sich ja Aufbruch und Neustart auf die Fahnen schreiben, mit einem verhandeln, der von den Wählern massiv abgestraft wurde?
In Berlin laufen übrigens Wetten, dass Angela Merkel noch die Neujahrsansprache halten wird. Bis dahin werden Sie in unregelmäßigen Abständen noch ein paar Mal von mir hören – viel Dank für Ihr bisheriges Interesse! Ihre Sandra Lumetsberger