Zelltherapie bei Krebs: Realismus statt Euphorie
Derzeit macht vor allem bei Blutkrebs die CAR-T-Zelltherapie Schlagzeilen. Doch Langzeitergebnisse liegen bei der Hälfte der Anfangserfolge. Die Nebenwirkungen können tödlich sein. Die Wissenschaft steht noch ein einem frühen Stadium, betonte am Samstag die Mailänder Expertin Chiara Bonini beim Jahreskongress der deutschsprachigen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie in Wien.
"Die Zelltherapie mit der gentechnischen Veränderung von weißen Blutkörperchen sind natürlich infolge medizinischen Bedarfs entstanden. Die Basis bildete die Transplantation von (Knochenmark-)Stammzellen", sagte Chiara Bonini vom Forschungsinstitut San Raffaele in Mailand bei dem Kongress mit rund 6.000 Teilnehmern.
Eine Stufe bildete die Entwicklung und Marktzulassung der CAR-T-Zelltherapie von zwei internationalen Pharmakonzernen ( Novartis und Gilead) in den USA und in der EU für die Behandlung von pädiatrischen Patienten und jungen Erwachsenen mit therapieresistenter und durch Rückfälle gekennzeichnete akute lymphatische B-Zell-Leukämie bzw. für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit großzelligem B-Zell-Lymphom (therapieresistent bzw. nach Rückfällen). Das alles erfolgt auf der Basis von vom einzelnen Patienten gewonnenen und gentechnisch veränderten weißen Blutkörperchen.
Doch die Situation ist komplex. Die anfänglich euphorisch gefeierten Ergebnisse an extrem wenigen Studienpatienten - oft nur einige Dutzend pro Studie - weichen einem realistischeren Bild. Chiara Bonini sagte: "Bei der Chronisch Lymphatischen Leukämie erreicht man ein komplettes Ansprechen (Verschwinden der Krankheitszeichen; Anm.) bei 30 bis 40 Prozent der Patienten, bei Non-Hodgkin-Lymphomen bei 50 bis 70 Prozent und bei Akuter Lymphatischer Leukämie bei 80 bis 90 Prozent. (...) Die Hälfte der Patienten wird mit der Zeit einen Rückfall erleiden."
400.000 Euro an Behandlungskosten
Dem stehen einmalige Behandlungskosten auf der Basis publizierter US-Daten von umgerechnet rund 400.000 Euro für die Infusion der gentechnisch veränderten Zellen allein gegenüber. Hinzu kommen die Begleitkosten. Die Nebenwirkungen, zum Beispiel die massive Freisetzung von Immunbotenstoffen ("Zytokinsturm") bzw. die Toxizität auf das Gehirn bedingen oft eine Aufnahme in die Intensivstation, können lebensbedrohlich sein oder tödlich enden.
"Bei der extremen Potenz von CAR-modifizierten T-Zellen und einem ähnlichen Wirkungsmechanismus birgt die Anwendung (...) häufige Toxizität in sich, die so 'böse' oder sogar 'böser' als die Grunderkrankung sein und letal enden kann", stellten Autoren wie Ping-Pin Zhen (Erasmus Medical Center/Niederlande), Johan M. Kros und Jin Li in der Fachzeitschrift Drug Discovery Today im Juni 2018 fest.
Arbeit an neuen Konzepten
Nicht zuletzt deshalb arbeiten die Wissenschafter bereits an neuen Zelltherapie-Konzepten, die weit über das Konzept der reinen CAR-T-Zellen hinausgehen. So werden bei der gentechnischen Veränderung der Zellen auch "Suizid"-Gene eingefügt. Das ist zum Beispiel Erbinformation aus Herpes simplex-Viren. Beim Auftritt von schweren Nebenwirkungen sollen die betroffenen Patienten ein hoch wirksames Herpes-Medikament bekommen, was die CAR-T-Zellen in den Suizid treibt.
Bonini und ihr Team entwickeln aber auch Zelltherapien, bei denen in vom Patienten gewonnenen T-Lymphozyten spezifisch auf Tumor-Antigene reagierende T-Zell-Rezeptoren eingefügt werden. Sie erkennen nicht nur typische Oberflächenmerkmale von bösartigen Zellen, sondern auch charakteristische Teile von Tumorzellen aus deren Inneren.
"Diese Merkmale, welche die genetisch veränderten Abwehrzellen mit ihrem neuen T-Zell-Rezeptor erkennen sollen, sind Antigene, die von den Tumorzellen stark produziert werden, in gesunden Zellen nicht vorhanden sind und relevant für die Bösartigkeit und das Fortschreiten des Tumors sind", sagte die Expertin.