Witzigmanns Welt: Sardinen

Von Zugehfrauen und Verfallsdaten, von Jahrgangsdosen und Servier-Trends und von einer Ölsardinen-Überdosis aus der Not heraus.

Vor Kurzem konnte ich gerade noch eine kleine Katastrophe verhindern. Meine Zugehfrau hat den Kühlschrank geputzt und wollte drei Dosen feinster Jahrgangssardinen ("sardines millésimées") der Marke "Capitaine Cook" wegwerfen, die mir mein Freund Emil Perauer geschenkt hatte. "Die sind doch längst abgelaufen", sagte sie und zeigte auf die Etiketten, auf denen 2006, 2007, 2008 steht. Ich klärte Frau Gruber auf, dass es sich hierbei nicht um das Ablaufdatum handelt, sondern um das Abfülldatum.

In Öl eingelegte Sardinen reifen in der Dose wie Weine im Fass und werden von Jahr zu Jahr besser. Kenner wie der Gastronom und Hotelier Alfred Walterspiel (1883 - 1961) wussten das schon vor Jahrzehnten; und seit einigen Jahren ist es in französischen und spanischen Gourmetlokalen eine Selbstverständlichkeit, den Gästen diese Delikatesse in der geöffneten Dose zu servieren.

Mein Freund Charles Schumann hat diese originelle Idee aus seiner zweiten Heimat San Sebastian in seine Bar am Münchner Hofgarten importiert und damit deutschlandweit einen Trend ausgelöst.
Beim Stichwort Ölsardinen muss ich übrigens an meine Kindheit denken. Weil meine Mutter einmal eine Woche im Krankenhaus verbringen musste, war mein Vater für die heimische Verpflegung zuständig.

Ich kann Ihnen sagen: Sieben Tage Bratkartoffeln und Ölsardinen - da läuft es selbst für den größten Sardinen-Fan nicht mehr wie geschmiert. Damit es den Gästen im Schumann`s mit dem exklusiven Dosenfutter nicht so wie mir ergeht, habe ich für den Charles zu seinem 70. Geburtstag neulich eigens ein Rezept kreiert: Sardinen-Escabeche "Don Carlos".

Jetzt muss ich meiner Zugehfrau nur noch beibringen, dass ein Vanillejoghurt, das das Verfallsdatum um drei Wochen überschritten hat, noch lang kein Jahrgangsjoghurt ist.

Aus: freizeit-KURIER vom 10.9. 2011

Eckart Witzigmann widmet sich in seiner Kolumne im FREIZEIT-Kurier dem ganz (un)gewöhnlichen Küchen-Alltag.

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