Witzigmanns Welt: Radicchio
Morgen darf ich zum Abendessen einen König begrüßen. Genauer gesagt den König des Veneto, den "Radicchio Rosso di Treviso Tardivo". Kennengelernt habe ich diesen Wintersalat einst auf einer Reise mit meinem leider verstorbenen Freund Hasi Unterberger ins Veneto, das Heimatland des kultivierten Radicchio. Dort hat uns in einem unscheinbaren Ristorante der Wirt in Unterhemd und mit Zigarre "Risotto mit Scampi und Tardivo" serviert. Weder den Wirt noch den Risotto werde ich je vergessen. Beide waren einfach zu köstlich. Die populärste Radicchio-Sorte ist der "Rosso di Chioggia" mit seinem runden, festen Kopf und dem milden Geschmack. "Den bekommen sie überall, nur nicht in Italien", hat neulich eine Marktfrau schmunzelnd zu mir gesagt. Im Grunde hatte sie recht. Wahre Kenner schätzen am Radicchio seinen einzigartigen, bittersüßen Geschmack. Dieser ist beim "Rosso di Treviso Tardivo" besonders ausgeprägt und auf den Winterfrost zurückzuführen. Vorher wird der Salatkopf nicht geerntet, von dem am Ende nur noch der Sprössling übrig bleibt. Ich bereite aus dem Tardivo gerne einen Salat: beispielsweise mit Gorgonzola-Dressing, Birnen,Walnüssen und belgischem Chicorée. Doch der Tardivo ist für Salat allein viel zu schade. Man kann ihn grillen, frittieren oder im Ofen garen – z.B. als Röllchen, gefüllt mit Ricotta, Walnüssen, Eigelb und Parmesan. Er passt zu Fisch und Meeresfrüchten (gebratene Jakobsmuscheln mit Radicchio und Rote-Rüben-Salat), genau so wie zu Schwein, Wildgeflügel, Wild oder Rind (Filet in Portwein, Rotweinsauce, schwarze Trüffel und Pancetta). Auch als Dessert (Schokoladentörtchen mit Marmelade vom karamellisierten Tardivo) ist er so geschmackvoll wie jenes alte Gedicht aus dem Veneto über den Tardivo: "Wenn du ihn ansiehst, ist er wie ein Lächeln. Wenn du ihn isst, wie ein Paradies."