Wiener Konfekt als kleine Verführer
Von Eva Gogala
Was das Konfekt von Altmann & Kühne außer seiner Größe von anderen Süßigkeiten unterscheidet, ist die Verpackung. Da gibt es Kommoden, Reisekoffer, Nähkästchen oder die „Quastelschachtel“. Und natürlich die Liebe. Die kann man sogar nachmessen. 1/4 Meter Liebe, 1/2 Meter oder gar einen Meter Liebe kann man verschenken – langgezogene Schachteln, gefüllt mit Süßem. Fast in jedem Haushalt findet sich so ein leergegessenes Schachterl. Schmuck oder ganz prosaisch Knöpfe oder Schrauben lassen sich darin aufbewahren. Oder man kann sie neu befüllen lassen mit den kleinen, süßen Verführern.
Das Papier haben Künstler der Wiener Werkstätten entworfen. Damals, in den 1920er-Jahren, als die Herren Altmann & Kühne ihre Firma gründeten. Es sieht heute noch so aus. Auch das kleine Geschäft am Graben Numero 30, das Architekt Josef Hoffmann gestaltet hat, sieht noch so aus wie damals. Die dunkelbraune Holzvertäfelung, die glänzenden Vitrinen mit den Schiebetüren aus geschliffenem Glas. Nur der Originalluster wurde leider erneuert. Und wie damals wird jedes einzelne Konfekt händisch hergestellt.
Das passiert in der Leopoldstadt, nahe dem Donaukanal. In dem unauffälligen Wohnhaus in der Negerlegasse gehen in der Produktion im Erdgeschoß fünf Frauen unter Aufsicht von Konditorin Eva Hansalik zu Werke. Sie gießen Fondant, kochen Grillage, stellen Marzipan her, formen winzige Kügelchen, jedes wird verziert. Oder sie stechen aus einer Nougatplatte Herzerln aus. Acht Kilo Nougat kann eine Frau an einem Tag verarbeiten. Aus jedem Kilo entstehen 250 Herzen, macht also 2.000 Stück. Im gut klimatisierten Nebenraum sitzen die „Tunkerinnen“. Mit speziellen Werkzeugen tauchen sie die Pralinen in die Couvertüre, flüssige Schokolade, die stets die richtige Temperatur haben muss. Dann werden die kleinen Kunstwerke zum Trocknen auf die „Tunkblätter“ gelegt. In deren Oberfläche ist in Spiegelschrift ganz fein der Firmenschriftzug geprägt, der auf die Unterseite des noch weichen Schokoladebodens drückt. „Es wird zunehmend schwierig, alles, was wir für unsere Produktion brauchen, zu bekommen“, sagt Konditorin Hansalik. So gibt es keine Firma mehr, die die zur Erhitzung des Zuckerwassers notwendigen Ringöfen erzeugt. Und sie ist verzweifelt auf der Suche nach einem Hersteller für die Tunkblätter. Noch wird mit Resten aus dem Fundus gearbeitet, aber die werden nicht mehr lang reichen.
Im zweiten Stock sitzen die Packerinnen. Sie sind zu dritt und schlichten die Pralinen in die Schachteln. Dafür gibt es eine exakte Anleitung. Zuerst Einlegeblätter, dann eine Schicht getunkte Grillage, dann die Bausche, mit der Hand sorgfältig gefaltetes Seidenpapier, dann wieder Einlegeblätter und die nächste Schicht. Je nach Art und Größe der Schachtel eine bestimmte Anzahl von jeder Sorte, die in der Bonbonniere einen fixen Platz hat. Zehn Schritte sind notwendig, bis die einfachste Schachtel befüllt ist. Frau Maria macht das seit 23 Jahren. Vor sich stets die Schachteln mit den süßen Verführern. Doch sie ist immun dagegen. „Ich hab’ seit Jahren nicht mehr gekostet“, lacht die schlanke Frau. Langweilig wird ihr nicht: Während der Arbeit rennt der Schmäh mit ihren beiden Kolleginnen.
Firmengründer Emil Altmann und seine Frau Edith mussten vor den Nazis flüchten. In Wien hielt indessen Direktrice Rosina Menczer alles am Laufen. Und der Chef tat von New York aus, was möglich war. Immerhin blieb das Unternehmen in seinem Eigentum. „Wir waren das erste Geschäft, das eine Klimaanlage hatte“, erzählt Frau Marion, die heute am Graben Konfekt verkauft. „Die hat Herr Altmann aus Amerika geschickt.“ Als die Schreckensherrschaft der Nazis endlich zu Ende war, kam Emil Altmann noch einige Male auf Besuch. Doch in Wien leben wollte er nicht mehr. In den 1980er-Jahren kaufte die Hoteliersfamilie Schick den Traditionsbetrieb. Der Name ist geblieben. Und das Konfekt schmeckt noch wie damals,
als Romy Schneider Sissi war.