Saure Gurken und Kohl für die Oligarchen
Eingelegte Gurken, Kohlsuppe mit Steinpilzen und Rentier-Tartar: Während die russische Wirtschaft angesichts des weitreichenden Importverbots für zahlreiche westliche Lebensmittel und der Rubelkrise schlingert, heben viele Moskauer Lokale einheimische Spezialitäten auf ihre Speisekarte. Vorbei ist die Zeit, in der die italienische und französische Küche in den gehobenen Restaurants angesagt war.
Nun könnten die russischen Restaurants "ihre eigene Geschichte erzählen", ist sich Jelena Tschekalowa sicher, die Besitzerin des "Pojechali". Die "neue russische Küche" zeichne sich dadurch aus, dass "heimische Produkte, die uns vertraut sind, mit Techniken zubereitet werden, die anderswo erfunden wurden".
Wer russische Zutaten nutzt, hat es da besser: "Wir haben weniger gelitten als andere, weil wir zu 90 Prozent mit russischen Produkten arbeiten", sagt die einstige Journalistin Tschekalowa, die ihr Restaurant erst im vergangenen Oktober eröffnet hat.
Aber auch sie ist betroffen. "Die Wirtschaft ist nicht patriotisch", sagt sie trocken. Denn es sei klar, dass Produkte teurer seien, wenn es weniger von ihnen auf dem Markt gebe. Tschekalowa musste ihre Preise deshalb um etwa zehn Prozent anheben. Einige Gerichte verschwanden wegen der teuren Zubereitung von der Speisekarte.
Abgesehen vom Lebensmittel-Embargo kämpft die Gastronomie-Branche in Russland auch mit der Wirtschaftskrise an sich: Die Kaufkraft ist gesunken, viele Kunden schauen nun auf den Preis. Und angesichts des gesunkenen Rubelkurses werden für Restaurantbetreiber Geschirr oder Kühlschränke aus dem Ausland teurer. Viele Mieten sind zudem in Dollar festgelegt - und damit kaum zu bezahlen.
Der russische Hotel- und Restaurantverband schätzt, dass etwa tausend Gastronomen in den vergangenen Monaten ihre Geschäfte dicht machen mussten. Viele eröffneten wieder und passten sich den veränderten Umständen an: Italienische Restaurants wurden zu einheimischen Lokalen - mit anderem Namen, anderer Speisekarte, weniger Personal und einfacherer Einrichtung.
"Wegen oder dank der Krise geben die Menschen komplizierte Konzepte auf und setzen auf neue Formen der Einfachheit", fasst der angesehene Moskauer Koch Uilliam Lamberti den Trend auf der Internetseite "Time Out" zusammen. Selbst das luxuriöse Hotel National neben dem Kreml setzt auf diese Strategie und nannte sein neues Restaurant "Doktor Schiwago" nach dem gleichnamigen Roman des russischen Schriftstellers Boris Pasternak. Die Speisekarte ist voller russischer Spezialitäten, von Heringssalat bis zu Pelmeni, gefüllten Teigtaschen.
Und auch der Chef des neuen Restaurants "Serioja", Spartak Bemow, bestätigt: "Die Menschen suchen immer mehr einfachere Orte mit bekannten Gerichten, die nicht unerschwinglich sind." Sein Restaurant lässt deshalb zahlreiche Klassiker aus Sowjetzeiten aufleben - wie Huhn "Kiew" oder Hering im Pelzmantel.