Die Geschichte eines Booms
118 Euro. Das gibt der Durchschnitts-Österreicher jährlich für Bio-Lebens- und -Nahrungsmittel aus. Neun von zehn Menschen kaufen diese laut Statistik Austria zumindest gelegentlich. Am häufigsten in Form von Obst und Gemüse, gefolgt von Milch- und Getreideprodukten. Aber wann darf sich ein Bio-Produkt eigentlich so nennen?
Sämtliche Ge- und Verbote stehen in der EU-Bio-Verordnung. Allen voran sind chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und -dünger tabu. Der dadurch verringerte Ernte-Ertrag erklärt ebenso den meist höheren Preis von Bio-Produkten wie die Regeln für die artgerechte Tierhaltung. So muss genug Auslauf und Platz zur Verfügung stehen. Das Futter ist biologisch und frei von Hormonen und Gentechnik. Die Folge sind stärker naturbelassene Lebensmittel, die Genuss mit gutem Gewissen gegenüber der Umwelt und den nachfolgenden Generationen ermöglichen.
Die Wurzeln 17 Prozent aller Landwirte arbeiten nach Bio-Regeln. Damit ist Österreich Weltmeister. Bereits 1927 gab es mit dem Wurzerhof in Kärnten den ersten ökologischen Landwirtschaftsbetrieb. "Es waren allerdings ausgerechnet Nicht-Bauern, die entdeckten, dass das Bodenleben von großer Bedeutung ist", erzählt Claus Holler von Dachverband Bio Austria. 1924 hielt der Philosoph und Pädagoge Rudolf Steiner eine vielbeachtete Vortragsreihe mit dem Titel: "Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft." Nicht nur am Wurzerhof wird bis heute nach den Lehren Steiners gewirtschaftet. Einen weiteren bedeutenden ökologischen Ansatz, "jedoch ohne geistigen Überbau", entwickelten ein paar Jahre später der Biologe Hans Müller und seine Frau in Zusammenarbeit mit dem Bakteriologen Hans-Peter Rusch. Die Mehrheit der Öko-Bauern orientiert sich daran.
Anders essen Zugleich entstand auf Konsumentenseite ab 1910 eine Gesundheitsbewegung, die Vollwerternährung propagierte. Als einer der Gründerväter gilt ein Schweizer Kurarzt namens Maximilian Oskar Bircher-Benner. Seine "Apfeldiätspeise" sollte als Müsli in die Geschichte eingehen. Das Ur-Müsli bestand übrigens aus eingeweichten Haferflocken, Äpfeln samt Schale und Gehäuse, Nüssen, Zitronensaft und Milch. Aufgedeckt In den 60ern erschien "Der stumme Frühling" der US-Amerikanerin Rachel Carson. Bio-Experte Holler sieht in dem Buch über die ökologischen Schäden durch das später verbotene Spritzmittel Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) "das Schlüsselwerk für alle Umweltbewegungen." Unterdessen entdeckte die Hippie-Bewegung das Müsli. "Vollwerternährung wurde zum Teil des Protests gegen die Elterngeneration." Das war die Geburtsstunde der Naturkostläden in Deutschland und später der Reformhäuser hierzulande. Ende der 70er entstand im Zuge des Protests gegen die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf die erste Umweltbewegung in Österreich, die wiederum dazu beitrug, dass Bio-Richtlinien in den Österreichischen Lebensmittelkodex aufgenommen wurden. Ein Meilenstein war 1991 die erste Fassung der EU-Bio-Verordnung, die genau definierte, welche Produkte sich Bio nennen dürfen. Nicht zuletzt großzügige EU-Förderungen führten ab dem EU-Beitritt Österreichs 1995 dazu, dass sich die Biobauern wie die warmen Semmeln vermehrten.
Etwa zur gleichen Zeit stiegen die großen Handelsketten mit eigenen Marken ins Bio-Geschäft ein. "Das Angebot, die ständige Verfügbarkeit, die Werbung und der Preis lösten einen Bio-Boom bei den Konsumenten aus", so Holler. Fünf Jahre später wurde der Höhenflug durch den BSE-Skandal nochmals getoppt.