Mein Essen am Eiffelturm
Vor 125 Jahren haben sie begonnen, den Eiffelturm zu bauen. Die Wartezeiten auf einen Tisch im Restaurant Jules Verne, betrieben von der Groupe Alain Ducasse, sind nicht ganz so lange, aber beträchtlich. Zumindest waren sie das, als ich die Gelegenheit hatte, dort zu Mittag zu essen. Welches Privileg das ist, wird dem Parisbesucher klar, lange bevor er die Speisenkarte in die Hand gedrückt bekommt. Denn am Platz unter dem Turm gibt es zwei Kategorien von Menschen. Die einen warten bis zu einer Stunde vor der Kassa und dem Aufzug, um irgendwann tatsächlich den Weg nach oben zu schaffen. Da kannst du Mensdorff-pouilly heißen oder Vranitzky und mit dem österreichischen Diplomatenpass wacheln, es gibt kein Vorgelassenwerden. Die andere Kategorie der Gäste findet sich in einem überschaubaren Grüppchen vor einem Extralift ein, der ins Mittelgeschoss führt, direkt zum Empfang des Restaurants.
Champagner im Eilzugstempo
Ein livrierter Herr am Einlass. "On a une reservation pour …" und schon ist man drin und während die Eiffelturmbesucher der ersten Kategorie immer noch warten, wird man oben bereits vor dem Hauptgang sitzen. Denn das Tempo, mit dem die gut geschulte Servicemannschaft im Jules Verne zu Gange ist, raubt einem fast den Atem. Offenbar wollen sie die Tische nicht nur einmal, sondern dreimal drehen an diesem Mittag. Mir auch recht. Der Hunger ist ohnehin nicht allzu groß. Vielleicht macht das die Höhenluft. Als hätte ich ihn schon im Lift bestellt, steht der Champagner auf dem Tisch. Eine Ausnahmeerscheinung. Die Gäste, die genauso wenig in Paris wohnhaft sind wie ich, leiden wohl alle an einer Alkoholunverträglichkeit, denn soviel Cola und Evian wird in keinem anderen Restaurant der Alain-Ducasse-Kette konsumiert wie hier.
Kniekehlen und Bressehühner
Es amerikanert sehr. Es russelt auch ein bisserl. Die Bekleidung vieler Gäste schrammt an diesem Mittag knapp am Lokalverweis vorbei und ich bemühe mich, meinen Blick von den Kniekehlen einer Mittfünfzigerin abzuwenden und mich auf den Ausblick zu konzentrieren. Dieser ist phantastisch, was aber in diesem Zusammenhang nur am Rande erwähnt werden muss. Mit Überschallgeschwindigkeit wird das Essen serviert, sodass ich erst beim Hauptgang soweit zur Ruhe komme, um überhaupt wahrzunehmen, was ich da esse. Ein Klassiker von Alain Ducasse, für den man in einer etwas feineren Ausführung im Plaza Athenée das Dreifache bezahlt. (Das Jules Verne ist übrigens nicht unverschämt teuer, nur teuer, wie fast alles an der Seine.) Es ist ein Frikassée vom Bressehuhn mit Flußkrebsen und verschiedenen, sehr jugendlichen Gemüsen, und es ist selbstverständlich delikat.
Mitleid mit dem Sommelier
Weil dem Sommelier an diesem Mittag unerträglich fad ist, um nicht zu sagen, dass er an der Sinnhaftigkeit seiner Existenz zweifeln muss, trinke ich zum Hendl ein kleines Fläschchen aus der Loire. Kaffee, Petit Fours, ob es außerdem noch ein Dessert gab? Doch ja, etwas mit Schokolade und Birne, sehr gut. Ein Höhepunkt ist die Küche im Jules Verne allerdings nicht, aber zum Beispiel im Donauturm in Wien könnten sie sich noch was abschauen. Runter geht es schneller als nach oben, man kann also durchaus was fürs Leben lernen am Eiffelturm. Ich steige aus dem Lift aus und bin froh, vorhin nicht Ente oder Boeuf Bourguignon gehabt zu haben. Täusche ich mich - oder stehen die Menschen von vorhin hier immer noch an?