Leben

Deutscher Buchpreis: Warum zwei Österreicher lieber nicht gewinnen wollen

Ob es ein gutes Omen war, dass der Österreicher Peter Handke den Literaturnobelpreis gewonnen hat? Am 14 Oktober fällt die nächste Entscheidung. Darüber, wer den Deutschen Buchpreis 2019 gewonnen hat. Sechs Autoren haben es von der Longlist mit 20 Namen auf die Shortlist geschafft. Fast wie beim Skifahren, zweiter Durchgang quasi, in dem  Raphaela Edelbauer und Tonio Schachinger für Österreich starten – und  für sich selbst. Was bedeutet es, gleich mit dem ersten Roman so erfolgreich zu sein? Wir treffen die Jung-Autoren in der Heimat des SK Rapid. Schachingers Roman spielt im Fußball-Milieu, Edelbauers Buch erzählt von einer Parallelwelt unter der Erde. Da passt der heilige Rasen von Wien Hütteldorf für beide perfekt. 

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Frau Edelbauer, Herr Schachinger, Sie beide sind Anwärter für das Buch des Jahres. Klingt das nicht  toll?

Raphaela Edelbauer: Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen gestresst, weil mein Hauptberuf eigentlich das Schreiben ist. Wenn sich über Monate ein Termin an den nächsten reiht, ist das eine große Ehre, kann einen aber auch mitnehmen.

Tonio Schachinger: Da würde ich mich anschließen.

Edelbauer: Ein Beruf wie unserer braucht Zeit und Abgeschiedenheit. Ich habe 130 Seiten meines nächsten Romans vorgeschrieben, um die Qualität der Produktion aufrecht zu erhalten.

Haben Sie mit der Shortlist gerechnet?

Edelbauer: Mit der Longlist habe ich spekuliert. Ich kann mir auch  nicht vorstellen, je mit etwas anderem als dem Schreiben  Geld zu verdienen. Deshalb muss ich abliefern und im Zweijahresrhythmus ein Buch herausbringen, damit ich das fortführen kann.

Schachinger: Für mich ist es schwierig, etwas zur Nominierung  zu sagen. Raphaela hat vor  einem Jahr beim Bachmann-Preis den Publikumspreis gewonnen und ist viel bekannter als ich. Sie kann auch mit der Öffentlichkeit besser umgehen. Für mich hat der Hype vor einem Monat erst begonnen, und das ist mir eigentlich unangenehm.  

Der Preis ist Ihnen also zu heiß?

Schachinger: Würde ich gewinnen, wäre es vorbei mit meiner Anonymität. Ein Vergleich aus dem Fußball, weil mein Buch davon handelt. Angenommen Österreich hätte bei der EM 2016 nicht abgeloost, sondern gewonnen: Man hätte sich kurzfristig gefreut, langfristig hätten die Fußballer  unter den Ansprüchen gelitten. Ich wäre also  nicht enttäuscht, würde ich nicht gewinnen.  

Und Sie Frau Edelbauer?

Würde ich gewinnen, wäre ich nicht verzweifelt. Ich darf das eigentlich nicht sagen, aber es wäre wirklich deppert, einen absoluten Karrierehöhepunkt Ende 20 mit dem ersten Roman zu erleben. Was mache ich beim zweiten? Wenn er nur ein Viertel vom ersten verkauft, ist das nicht angenehm. Ich denke lieber in Dimensionen von zehn Jahren.

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Haben Sie das Buch des jeweils anderen eigentlich schon gelesen?  

 

Edelbauer: Ich habe bewusst keinen der Shortlist-Titel gelesen, weil ich mir sofort Meta-Gedanken darüber machen würde, die derzeit echt komplett fehl am Platz wären.

Schachinger: Das vom Saša Stanišic  hab’ ich gelesen (Anm.: Herkunft), weil es schon im März herausgekommen ist.

Stanišic wird als Sieger des Deutschen Buchpreises 2019 gehandelt.

Schachinger: Warum auch nicht? „Herkunft“ ist sein drittes Buch, und es ist sehr gut – wie seine anderen Bücher auch. Er war schon mit seinem ersten Buch auf der Shortlist, dem zweiten auf der Longlist und hat den Preis der Frankfurter Messe gewonnen. Außerdem ist er ein netter Typ.  

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Nett sind Sie doch auch. Oder welcher Typ Schriftsteller sind Sie?

Schachinger: Ich arbeite mit sehr vielen Routinen und leicht neurotischen Abläufen. Viele Autoren, die ich kenne, hängen sich an  bestimmten Sachen auf. Das tu’ ich  tendenziell auch. Bei mir muss alles passen, auch, wenn es scheinbar nur lächerliche Details sind.

Stimmt es, dass Sie für Ihre Geschichte über einen Profi-Fußballer nur im Internet recherchiert haben?

Schachinger: Ich war auch bei analogen Events, so ist es nicht. Aber es gibt auch im Internet ein Fußballer-Milieu, das man studieren kann.  

Toni Polster kommt in Ihrem Buch nicht so gut weg. Sind Sie gerüstet, falls Sie ihm einmal  im realen Leben begegnen?

Schachinger: Vor zwei Wochen war ich im Stadion der Wiener Viktoria, als mir eingefallen ist, dass Toni Polster dort Trainer ist. Er kommt im Buch zwei Mal nicht so gut weg. Bevor das Training begonnen hat, war ich aber fort. Abgesehen davon ist es auch nicht meine Meinung, sondern die meiner Figur.

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Frau Edelbauer, Sie bearbeiten in Ihrem Roman ein Stück NS-Geschichte. Haben Sie nie überlegt, ein leichteres Thema wie Herr Schachinger zu wählen?

Edelbauer: Ich glaube, das Problem bei mir ist nicht das Thema, sondern eher die Sprache. Sie ist nicht unbedingt sperrig, aber es heißt in Rezensionen öfter, dass meine Sprache sehr verschlüsselt und verschachtelt ist. Das, glaube ich, schreckt mehr Leser ab.

Sie interessieren sich für Fußball, Herr Schachinger. Sie stemmen auf Instagram Gewichte, Frau Edelbauer. Literaten 2019 scheinen sportlich zu sein.

Edelbauer: Das ändert sich in unserer Generation, aber ich würde sagen, dass es schon  mehr Leute im Literaturbetrieb gibt, die  rauchen als Sport zu machen. Man kann nicht sagen, dass viele Schriftsteller Marathonläufer sind.

Naja, Sie sind Ruderin, John Irving war Ringer, Herr Schachinger spielt Fußball.   

Edelbauer: Ich glaube, der menschliche Körper ist dazu da, bewegt zu werden. Wir leben in einer komplett pervertierten Arbeitswelt, die vorwiegend im Sitzen stattfindet und in der die meisten mit 30 einen Bandscheibenvorfall haben. Für mich ist Sport wie essen und trinken.  Etwas anderes ist es, dass ich Wettkampfsport mache.

Was fasziniert Sie daran?

Edelbauer: Ich glaube, ich bin sehr kompetitiv veranlagt, möchte das aber nicht in der Literatur ausleben – was absurd klingt angesichts der Tatsache, dass ich für einen Literaturpreis nominiert bin. Ich finde, die Kulturszene sollte eher von Solidarität als von kompetitivem Drive leben. Im Sport ist  Gewinnen dagegen angebracht.

Wie schaut es mit ihrer Fußball-Karriere aus, Herr Schachinger?
Schachinger: Ich spiele nur hobbymäßig. Es ist mir eigentlich egal, ob mein Team gewinnt oder nicht. Ich freue mich, wenn es gut läuft, ich einen tollen Pass spiele oder ein Tor schieße. Wer gewinnt, weiß ich oft nicht. Mir liegt der Wettbewerb nicht so.

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Auch, wenn Sie Wettbewerb nicht mögen: Stellen Sie sich beide bitte den Moment vor, wenn Sie den Deutschen Buchpreis gewinnen ...

Edelbauer: Ich empfinde es als sehr unangenehm, dass man vom Sieg öffentlich erfährt. Hast du dir das Programm schon angesehen, Tonio?

Schachinger: Ja, es ist Castingshow-mäßig. Alle Nominierten sitzen da und warten darauf, wer gewinnt.

Edelbauer: Es dauert eine Stunde, bis der Gewinner verkündet wird.

Angenommen es heißt dann: Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2019 ist Raphaela Edelbauer! Was dann?

Edelbauer: Darauf kann man sich nicht vorbereiten, weil alles so fremdbestimmt ist. Es gibt einen festgelegten Ablaufplan, ein Interview hier, einen Fototermin da. Wir mussten auch unterschreiben, dass wir sofort weiterfliegen, um an den Tagen X, Y und Z zu lesen – falls man gewinnt. Für alle anderen geht es zur Frankfurter Buchmesse, wo auch jeder seine Pflicht erfüllen muss.

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Wie lange sind Sie auf der Buchmesse, Herr Schachinger?

Schachinger: Die ganze Woche. Ich war noch nie auf einer Buchmesse.

Edelbauer: Da wirst schauen!

Schachinger: Ich habe letzte Woche mit meiner Verlagschefin gesprochen und sie hat mir im Gespräch fünf Mal gesagt, wie furchtbar es wird und dass ich vorher unbedingt noch einen Wellness-Urlaub machen soll.

Edelbauer: Es ist wirklich total arg und fühlt sich an wie ein sieben Tage langer durchgängiger Interview-Termin. Für Besucher ist es toll, aber wenn man selbst die Person ist, die verhandelt wird, ist das unangenehm. Zigtausende Menschen reden durcheinander, und es geht nicht nur um Texte, sondern um Bücher als Produkt. Und dieses Produkt wird permanent mit anderen verglichen, manchmal wie Äpfel mit Birnen.

Schreckt Sie das ab, Herr Schachinger?  

Schachinger: Es wird schon passen. Und wenn ich es nicht aushalte, muss ich eben etwas ändern.

Ihr Überlebenstipp, Frau Edelbauer?  

Edelbauer: Schwierig. Nur aufs Areal gehen, wenn man Termine hat, hilft. Das werde ich auch selbst so machen. Den Rest der Zeit verbringe ich außerhalb mit Lesen und Streaming.

Schachinger: Ein guter Tipp!

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Das Flüssige Land, Klett-Cotta

In ihrem Debütroman erzählt Raphaela Edelbauer, 29, geboren in Wien, von einer Physikerin auf der Suche nach dem rätselhaften Geburtsort ihrer verstorbenen Eltern. Das Grauen verbirgt sich unter der Erde in einer Parallelwelt, angelehnt an Geschehnisse in  ihrer Heimatgemeinde Hinterbrühl. Nazivergangenheit thematisiert  vor surrealem Setting.

Nicht wie ihr, Kremayr & Scheriau

Tonio Schachinger, 27, geboren in Neu-Delhi als Sohn eines österreichischen Vaters und einer Mutter mit ecuadorianisch-mexikanischen Wurzeln, hat seinen Debütroman im Fußball-Milieu angesiedelt. Ivo, Profikicker mit Migrationshintergrund, versucht im beinharten Business hin und hergerissen zwischen Familie und Affäre zu überlebe