Leben

Zukunftsserie: Schöne, neue Welt?

Schon immer war es faszinierend, in die Zukunft zu blicken. 1898 beschrieb Mark Twain etwas Sonderbares, das dem Internet schon sehr ähnlich war: Das grenzenlose Entfernungs-Telefon, mit dem für jeden die Angelegenheiten der Welt sichtbar und diskutierbar sind – auch durch jede beliebige Anzahl von Meilen voneinander getrennt. Und dieses prophezeite, globale Kommunikationsnetzwerk wurde als www-Vorläufer etwas abgewandelt ab 1969 vom amerikanischen Militär eingesetzt. Der Bauingenieur J. E. Watkins glaubte bereits 1900 an Mobiltelefonie: Kabellose Telefone werden die Welt umspannen. Es wird möglich sein, genauso problemlos nach China zu telefonieren, wie von Manhattan nach Brooklyn. Ein Ehemann mitten im Atlantik wird mit seiner Frau, die in ihrem Boudoir in Chicago sitzt, sprechen können. Zu Watkins’ Zeit waren internationale Telefonate noch völlig unbekannt, der erste Anruf dieser Art fand erst 15 Jahre nach seiner sensationellen Prophezeiung statt.

Das Buch „Die Welt in 100 Jahren“, das in der fiebrigen Aufbruchsstimmung vor dem Ersten Weltkrieg erschien, wurde sofort zum Bestseller. Aus der Lostrommel der Zukunft – wie Goethe es ausgedrückt hätte – wurden da erstaunliche Treffer gezogen: Längst fliegen wir in den Weltraum und nutzen die Wärme, die von den Sonnenstrahlen ausgeht. Natürlich gibt es im Buch des Journalisten Arthur Bremer auch skurrile Fehlprognosen, doch die meisten Vorhersagen sind gespenstisch genau. Bekannt ist, dass bereits vor 65 Jahren, lange bevor unser Leben jede Intimität verloren hat, George Orwell in „1984“ exakt den Überwachungsstaat beschrieb. Mit Videokameras, die uns rund um die Uhr, auf Schritt und Tritt, beobachten. Im von Stanley Kubrick verfilmten Roman „2001 – Odyssee im Weltraum“ wird schon eine Art Online-Zeitschrift erwähnt: In wenigen Millisekunden konnte er die Überschriften jeder Zeitung sehen, die er wollte … der Text wurde stündlich automatisch aktualisiert. Und in der Komödie „Zurück in die Zukunft II“ aus dem Jahr 1989 gibt es schon 3D-Kinos, Smartphones und Flachbildschirme, die an der Wand hängen. Oft verschmelzen spekulative Prophezeiungen, die wie Science-Fiction klingen – nachdem Jahre vergangen sind – mit der Realität.

Anhand seriöser Zukunftsforschung werde ich in unserer neuen Serie versuchen, den Weg in die Zukunft zu beschreiben. Woche für Woche mit einem speziellen Thema. Vieles davon ist weltweit längst in Laboratorien und Universitäten vorbereitet. Die gesellschaftlich-technischen Entwicklungen werden unser Leben dramatisch verändern. Irgendwann wird der Mensch Naturkatastrophen vermeiden und das Wetter beherrschen können. Die Lebenserwartung wird weiter steigen, ein Kind, das heute geboren wird, hat eine 1:1-Chance, 100 Jahre alt zu werden. Dennoch wird es nicht darauf ankommen, dem Leben Jahre, sondern den Jahren Leben zu geben (Genetiker Markus Hengstschläger). Krankheiten, vielleicht sogar Krebs, werden heilbar. Medizinische Nanobots – autonome Mikromaschinen in der Winzigkeit eines Blutkörperchens – rasen dann als Warner vor möglichen Krankheiten durch unseren Körper, transportieren Medikamente exakt in entzündete Gewebe oder bohren sich wie eine Lanze in einen Tumor, um ihn zu zerstören. Und Informationen werden direkt über die Retina ins Kleinhirn projiziert.

Bild: Eine Szene aus "2001 - Odyssee im Weltraum"

Auch der Alltag wird entspannter: Lästige Konferenzen wird der Manager von morgen auslassen – er schickt einfach sein Hologramm ins Büro. Roboter werden uns unangenehme Arbeit abnehmen, Küchengeräte mit der Kraft unserer Gedanken gesteuert. Die Wissenschaft weist uns den Weg. Doch gehen müssen wir ihn selbst. Trotz oder wegen des Siegeszugs der social networks gibt es mehr Menschen denn je, die mit ihren eigenen Gefühlen nicht fertig werden. Eltern, denen es nicht gelingt, mit Kindern zu kommunizieren, obwohl sie im selben Zimmer sind. Und Paare, deren Beziehung kalt und wortlos bleibt.

So faszinierend der Countdown in die Zukunft, der Weg in eine schöne, neue Welt ist – alle 108 Stunden gibt es eine Million Menschen mehr auf der Erde, die immer mehr Ressourcen verbrauchen und immer mehr Müll produzieren. Wenn mir jemand während meiner Schulzeit prophezeit hätte, dass man ein Säugetier klonen, alle Gene des Menschen lesen kann und ich mit einem kleinen Ding, das in der Hosentasche steckt, mit der Welt verbunden bin, hätte ich ihn ausgelacht. Der Blick in die Zukunft ist faszinierend und vielversprechend. Doch es ist auch höchste Zeit, eine Welt, die von Fortschritt und Konsum geprägt ist, neu zu ordnen, die Weichen für die Zukunft unserer Gesellschaft zu stellen. Sonst können uns alle Visionen einer schönen, neuen Welt nicht helfen.