Leben

Gefühlsspekulation

Wir fuhren zur Hochzeit des Exfreundes meiner Freundin. Ich habe eine Neigung zu komplizierten Patchworkfamilienstrukturen und finde den Exfreund sehr nett. Er heißt Stefan. Alle Exfreunde meiner Freundinnen hießen Stefan – kein Witz. Der Exfreund heiratet in Graz, und in Graz verwende sogar ich Technologie-Verweigerer ein Navi, denn in Graz verirre ich mich immer. In der Conrad von Hötzendorf-Straße erklärt uns das Navi, wir befänden uns in der „Kooonraaad von Hülzendorf Minusstraße“ und schlägt uns eine Route vor, die in der Mur enden würde. Da wir diesmal ausnahmsweise nicht mit dem Amphibienpanzer, sondern mit dem Auto unterwegs sind, werfen wir das Navi in die Mur und finden das Hotel ganz alleine. Im Hotel ist unser Zimmer nicht frei, weswegen wir uns im Gepäcksdepot für die Hochzeit umziehen. Und da haben wir noch Glück, denn es ist Grand-Prix-Wochenende, da leben in Graz im Gepäcksdepot meist ganze Fangruppen. Bei der Hochzeit stellen wir dann fest, dass wir die einzigen sind, die das Motto – „Kleide dich wie ein Pfau“ – ernst genommen haben, und dementsprechend auffallen (ich war so froh über das Motto, denn ich besitze gar keinen Anzug). Als einer, der die Idee des Heiratens merkwürdig findet (eine hochriskante Spekulation auf Gefühle in ferner Zukunft), habe ich mich mit einer Familienpackung Sarkasmus gewappnet, brauche aber nichts davon, denn die Hochzeit ist wunderbar: Ein Trio spielt sehr schön Mozart, der Standesbeamte hat einen guten Schmäh, mitten in der Zeremonie fliegt eine Wespe unter das Brautkleid, die Braut wird gestochen und muss deshalb mit einer sehr sexy Zwiebelpackung am Bein „ Ja“ sagen. Alle haben es schön, und ich blicke mich nach einem Mistkübel um, um den Sarkasmus wegzuschmeißen.