Leben

Der Stiefbruder des Bräutigams

Auf der Hochzeit lernen wir den Stiefbruder des Bräutigams kennen. Er rauchte ununterbrochen, trank Tequila und schaffte es, während des Essens einen Fernseher zu organisieren, um das Spiel Deutschland gegen Ghana zu sehen. Vor allem aber war er mit einem unerschütterlichen Humor gesegnet. Die etwas unübersichtlichen Verhältnisse in seiner Patchwork-Familie kommentiert er so: „Vater ... das ist bei uns ein entfernter Verwandter.“ Er beherrschte die Kunst, über andere Menschen zutiefst liebevolle Boshaftigkeiten zu sagen. Ich kann diese jetzt nicht zitieren, denn vielleicht erkennen sich die Betroffenen wieder und sind beleidigt. Das Beste war, was er über einen jungen Mann sagte, der einen Hirschkäfer auf der Hand spazierentrug. Der Bruder des Bräutigams lebt in Stuttgart, hat aber beruflich viel in den USA zu tun. Unlängst habe man ihn dort gefragt, woher er komme, erzählte er, und dann zu ihm gesagt: „From Germany? Das muss hart sein, haben Sie schon Wasser und Elektrizität?“ Ähnliches hat mein Sohn berichtet, der gerade von einem längeren Aufenthalt in Arkansas zurück ist: Österreich sei ein gefährliches Land, sagte man ihm: „Because you have lions there and elephants and stuff.“ Als er entgegnete, dass bei uns keine Löwen und Elefanten „und Zeug“ herumlaufen, wollte man ihm nicht glauben – schließlich liege Österreich doch in Afrika. Gerade, als wir uns bei der Hochzeit auf das Karaokesingen des Bräutigambruders zu freuen begannen, erreichte uns ein Anruf: Jemand war gestorben, der jemandem, den wir sehr mögen, sehr nahestand. Paradoxerweise reagierten wir darauf, indem wir zu streiten begannen. Danach gingen wir sechs Kilometer durch Graz zurück ins Hotel, schweigend. Ich werde diesen Abend nie vergessen.