Leben

Gut ausgebildete Schweine

Als ich 19 war, arbeitete ich einen Sommer lang in der Wurstfabrik. (Den Job hatte mir der Percussionist meiner Band verschafft, ein durchtrainierter Ex-Boxer mit verwandtschaftlichen Beziehungen zur Wurstfabrikbesitzerfamilie. Er wurde schließlich im zweiten Bildungsweg Kaiser von Österreich.) Die Zeit in der Wurstfabrik war schön. Man durfte bei der Arbeit essen, soviel man wollte – damals lernte ich, Leberkäse zu lieben und der Knacker zu misstrauen. Und ich lernte auch sprachlich viel. Eines Tages sagte der eher mit Migrationsvordergund als -hintergrund ausgestattete Vorarbeiter zu mir: „Juhnke! Kesst tu Tirre opicken!“ Das Wort Juhnke kannte ich schon, es bezeichnete nicht einen Berliner Entertainer mit zu viel Durst, sondern stand für „Junge“, also Bub. Tirre dagegen war mir neu. Also stammelte ich: „Bitte, welche Tiere soll ich abkleben gehen?“ Während mich der Vorarbeiter wegen meiner Begriffsstutzigkeit zusammenbrüllte, dämmerte mir die wahre Bedeutung des Satzes: Ich sollte Wurstware der Sorte „Dürre“, auch bekannt als „Braunschweiger“, mit Etiketten versehen. Aufgrund dieser schönen Erinnerungen blieb ich der Wurstbranche bis heute verbunden. Und als ich kürzlich auf der Homepage der Wurstfabrik folgenden Text fand, war ich direkt glücklich: „Die Farbe hell und rosa. Der Rand dunkel und von kräftiger Textur, das Innere zart und durchzogen, fast schmelzend. Der Duft kräftig und vielstimmig, entschlossen und eindeutig: das hier ist Fleisch (...) Geselchtes, das von gut ausgebildeten Schweinen stammt.“ Es ist doch beruhigend, zu wissen, dass die Schweine, bevor sie zu Geselchtem wurden, eine gute Ausbildung bekommen haben. Und dass es offenbar jetzt das Literatur-Genre der Fleisch-Poesie gibt, gefällt mir auch, in aller vielstimmigen Eindeutigkeit.

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